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  Kultur * 2011

Konzertberichte, Plattenkritiken & Buchbesprechungen

16.07.2011: Cody Chessnut / Larry Graham / Bootsie Collins,
                    Montreux, MJF

23.07.2011: Ich & Ich, Lörrach, Marktplatz
21.07.2011: Molotov, Freiburg, Jazzhaus
20.07.2011: Erykah Badu, Lörrach, Marktplatz
14.07.2011: Bonaparte / Whomadewho / FM Belfast,
                    Freiburg, ZMF

11.07.2011: Iron & Wine, Freiburg, ZMF
10.07.2011: Giora Feidmann, Freiburg, ZMF
08.07.2011: Blood, Sweat & Tears, Freiburg, ZMF
07.07.2011: Juli / Bosse, Freiburg, ZMF
05.07.2011: Ayo, Freiburg, ZMF
01.07.2011: Georg Schramm / Jochen Malmsheimer /
                    Nordkvark / Ars Vitalis, Freiburg, ZMF

30.06.2011: Till Brönner / Grand Orientet, Freiburg, ZMF
29.06.2011: Ganes, Freiburg, ZMF
11.06.2011: Lisa Bassenge, Freiburg, Waldsee
26.05.2011: Element Of Crime, Aarau, Pferderennbahn
14.04.2011: The Lloyd Cole Small Ensemble, Freiburg,
                    Waldsee

25.03.2011: Anajo / The Enshins, Freiburg, Waldsee
18.03.2011: Trombone Shorty & Orleans Avenue, Freiburg,
                    Jazzhaus

04.03.2011: Frank Lüdecke, Lörrach, Burghof
17.02.2011: Max Mutzke / Yakoto, Freiburg, Waldsee
06.02.2011: Element Of Crime, Freiburg, Rothaus-Arena
28.01.2011: Johnossi, Freiburg, Jazzhaus

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16.07.2011, Montreux, Miles Davis Hall
Jazz-Festival für einmal keine Reise Wert
Tontechniker strapaziert Nerven und Gehörgänge des Publikums

Wie immer sollte der Besuch des legendären Festivals am Genfer See der Höhepunkt des Konzertjahres werden. Doch für einmal wurde der Tag einer zum Vergessen.
Schon die Anfahrt gestaltete sich schwierig; ein solches Verkehrsaufkommen rund um Montreux ward noch nie gesehen. Jedenfalls nicht vom Verfasser dieser Zeilen. Als nach gefühlten Stunden im Stau endlich die Stadtgrenze überschritten war, entpuppte sich die Parkplatzsuche als äusserst schwierig; sämtliche Parkhäuser meldeten "Ausverkauft". Schliesslich wurde in einer Nebenstrasse doch noch ein Plätzchen gefunden.
Als Fehler erwies sich nach wenigen Metern das Eintauchen in die Fressmeile am Seeufer. Am letzten Tag des Festivals war der Besucheransturm immens, ein selbstbestimmtes Vorwärtskommen nahezu unmöglich. Minutenlang gab es kein vor oder zurück, schwimmen wurde schon als Alternative ins Kalkül gezogen. Aber auch diese Unannehmlichkeiten wurden mit Geduld und Vorfreude auf das folgende Konzert überwunden.
Kurz nach acht Uhr strömte dass Publikum in die Miles Davis Hall, wohl froh, den flanierenden Menschenmassen zu entkommen. Und ausserdem war ja um 20.30 Uhr der erste Live Act angekündigt. Der, laut Wikipedia, US-amerikanischer Soul-Sänger und Gitarrist Cody Chessnut, betrat pünktlich die Bühne und sofort wurde klar, wie der Abend werden würde: Laut! Nach einer kurzen Ansage legte die Band los und ein wahres Inferno brach los. Ein überlauter, matschiger Sound dröhnte von der Bühne und lies den Boden vibrieren.
Nun gut, kein Mensch war wegen des feinen Herrn Chessnut nach Montreux gekommen und so versammelten sich die Besucher im Foyer und verstopften sogleich die Bar. "Je besser die Band desto besser die Tontechniker", war der allgemeine Tenor und niemand machte sich ernsthafte Sorgen. Larry Graham, immerhin Ex-Bassist von "Sly and the family stone" und aktueller Bassist der Band des kleinen "Prince" würde es schon richten.
Während der Umbauphase füllte sich die Miles Davis Halle wieder, viele hatten sich ein wenig warmgetrunken und waren bereit zur Party. Aber die Hoffnungen wurden jäh zerstört. Derselbe Techniker jagte vom ersten Ton an die Lautstärke in den Schmerzbereich und servierte einen ungeniessbaren Soundbrei. Also stürmte ein grossteil des Publikums wieder die Bar und "genoss" den Gig an Grossbildschirm im Foyer. Der Sound kam über die kleinen Lautsprecher zwar auch extrem beschissen, aber wenigstens unterhalb der Schmerzgrenze.
Konnte das wirklich wahr sein? Waren wir alle bei der "Versteckten Kamera" gelandet? "Bootsie Collins" und seine Jungs würden es zeigen. Und das Line Up versprach ein wahres Fest. Als da waren: Bootsy Collins (vocals, bass); Candice Cheatham (vocals); TM Stevens (vocals, bass); Colonel Hardgroove (backing vocals, bass); Razzberry White, Kyle Jason (vocals); Randy Villars (saxophone); Sarah Morrow (trombone); Garry Winters (horns); Dewayne "Blackbird" McKnight, Keith Cheatham (guitar); "Razor Sharp" Johnson, Dewayne "Blackbird" McKnight (keyboard); Frankie "Kash" Waddy (drums).
Aber sie ahnen es schon. Ein Wechsel am Mischpult fand nicht statt. Derselbe, in der Zwischenzeit wohl weltweit meistgehasste "Tontechniker" versaute auch dieses Konzert. Gegenüber Beschwerden oder Ratschlägen des genervten Publikums zeigte er sich resistent. Es war nicht zu fassen. Da tobten auf der Bühne Legenden des schrägen Funks und in den Saal wurde nur ein völlig undefinierbarer Krach geblasen. Die Wut und noch mehr die Enttäuschung waren auch Tage später noch nicht verraucht. Unfassbar dass eine solche Soundqualität in der ehrbaren Miles Davis Hall zu Montreux möglich war!
the bishop




23.07.2011, Stimmen, Lörrach, Marktplatz:
Adelige Dusche
Ich & Ich debütieren in Lörrach und schmiegen sich ein

Stimmen-Festival Wem wird es wohl aufgefallen sein dass auf dem Stimmen-Festival genau vor zwei Jahren schon mal alles gleich war? Niemand. Ja, ja natürlich weiß ich dass 2009 Ich&Ich auf dem Stimmen Festival debütierte. Aber wenn ich genau schreibe, meine ich auch GENAU. Das Datum ist identisch, 2009 wie 2011 23.07.2011 um 21:00 Uhr spielte jeweils Ich&Ich auf dem Marktplatz in Lörrach. Nicht ein Tag vorher oder ein Tag später, sondern am 23. Juli!

Toll, denke ich mir so. Darüber können sich aber auf der anderen Seite auch nur Menschen mit einem Faible für Mathematik, Zahlen oder gar Numerik oder eben allem drei begeistern. 23 ist ja schon eh eine tolle Zahl. Aber das ist eine ganz andere Geschichte. Nachzulesen woanders. Die Asiaten sind ja auch ganz vernarrt in Zahlenspiele. Am besten noch schnell eine Wette drauf abschließen. Und dieses Jahr 2011 feuert ein ganzes Feuerwerk an Zahlen ab. Vor allem im Juli. Da wäre zum Beispiel dass dieser Monat Juli 2011 5 Freitage, 5 Samstage und 5 Sonntage hat. Und das ist nur alle 623 Jahre der Fall. Toll, da ist die Zahl 23 wieder. Zwar kurz nach der 6, aber immerhin. Heißt dass nun das Ich+Ich zum dritten Mal nach Lörrach in 3*2=6 Jahren wiederkommt? Zumindest war die Kundgebung von Adel Tawil am Ende des Konzertes entsprechend: Er will wiederkommen. Und wahrlich, der Marktplatz in Lörrach ist ja auch eine einmalige Gelegenheit ein Konzert zu geben. Wann sonst gibt es schon die Gelegenheit für eine Musikgruppe mitten in der Stadt so laut aufzuspielen. Am Ende ist dann wahrscheinlich die Fläche vor der Bühne bis zum Mischpult 623m² groß.

Regnet es hier irgendwo?
Regnet es hier irgendwo?

Aber zurück zum Konzert: Genau wie vor zwei Jahren fing es dann auch kurz vor dem Konzert von Ich&Ich um 20:45 an zu regnen. Das wird es dann wohl in fünf Jahren am Samstag den 23. Juli 2016 auch wieder tun. Ist ja kein Problem der Platz verwandelt sich wie immer in eine Ansammlung von munteren wasserresistenten Plastikzwergen. Die Bilder von den fröhlichen Zuschauern unter Plastikmäntelchen sind dann auch stark ähnlich. Durch starke Mithilfe der gut organisierten und wohl gelaunten Helfer vor Ort bekommt dann auch jeder sein Mäntelchen.

Doch noch einmal zurück, bevor es angefangen hat zu regnen, zur Vorgruppe: Da spielte noch das Glasperlenspiel auf. Ein bis dato uns unbekannte Band. Nun zumindest für alle die nicht den Bundesvision Songcontest 2011 gesehen haben. Dort haben nämlich die Glasperlen das Ländle vertreten. Noch so ne Show von Pro7. Die Sängerin vom Glasperlenspiel war wohl davor auch mal im Club Med und hat Urlauber animiert. So mutet die Animation auf der Bühne an. Denn alle konnten auf Anleitung so richtig schön mitklatschen. Das hat eingestimmt auf Ich&Ich. So war schon mal die Vorgruppe besser als neulich vor zwei Jahren. Gewundert hat dann etwas dass die Gitarre und fast die gesamte Band bis auf den Schlagzeuger aus dem Synthi kam. Gut, ist ja günstiger und leuchtet jedem Schwaben ein. Nette Band, doch auch ganz nett jung & unerfahren. Viel Erfolg weiter Euch!

Und jetzt alle schnippen.
Und jetzt alle schnippen.

Doch nun zum Hauptact, deswegen sind ja die meisten auf den Marktplatz gekommen. Ich&Ich waren doch auch mal beim Songcontest dabei; dunkelt es dem Schreiberling so aus den Tiefen im Gedächtnis hervor. Richtig das war letztes Jahr, 2010. Deswegen waren die dann wohl auch nicht auf dem Festival in Lörrach. Merklich gereift und sehr bühnepräsent präsentiert sich Adel Tawil mit Band in Lörrach, zusammen als Ich&Ich. Gute Show. Dennoch keineswegs eingebildet, sondern ein Star zum Anfassen. Erstaunenswerterweise konnte das Publikum dann auch schon alle Lieder mitsingen. So ist dass dann natürlich schön für den Musiker. So viel positive Rückkopplung. Platz für Improvisationen gab es auch genug. Die Backgroundvocals durften mal zeigen was die Stimme so hergibt. Und auch reichlich Platz für nicht CD-bekannte Varianten der Gitarren, Keyboards und Schlagzeuge gab es zu Hauf. Deswegen lohnt sich dann auch ein Live Besuch.

Ich hab' ja so viel Gefühl...
Ich hab' ja so viel Gefühl...

Fast schon sensationell war dann der Umgang mit dem Publikum. Hier wurde mit Hilfe der modernen Technik - einer großen Videoprojektionsleinwand - und einer handgeführten Kamera das Publikum integriert. Da konnten die Zuhörer in den hinteren Reihen auch mal sehen wie jung die da vorne alle sind. Dann klatschte Adel Tawil noch die gesamte erste und zweite Reihe ab, inklusive Autogramme. Ein Bad in der Menge und das Konzert war vorbei. Wir sehen uns in fünf Jahren.
Pretender #1

Zuschauer: fast 5000
Spieldauer:
Glasperlenspiel: 45 Minuten
Ich & Ich: 90 Minuten

Homepage von Glasperlenspiel
Homepage von Ich & Ich
Stimmen-Festival




21.07.2011, Jazzhaus Freiburg:
Erstmals in Freiburg: Molotov


In einer Stadt mit ausreichend internationalem Zustrom wie Freiburg musste es nicht überraschen, dass sich bereits auf dem Weg zum Konzert der Spanisch-Anteil im Stimmengewirr der Passanten deutlich verdichtete. Sprachschulparty im nahe gelegenen Goethe-Institut? Touristengrüppchen auf dem Weg zum Bahnhof? Mit erreichen des Jazzhauses klärte sich, dass hier, bereits einige Zeit vor Konzertbeginn, das Phänomen der Sprachenmischung kulminierte. Ein wahrer Spaß für Großstadtethnologen - ein anwesender Kenner der mexikanischen Szene machte sich sogleich daran, im Publikum die City- und Ruralmexikaner handzuverlesen. Abgesehen von eingefleischten Latinofans, Völkerkundlern und diversen Personalunionen beider vorgenannten Spezies fand sich aus der hiesigen Normalbesetzung musikalisch ähnlicher Konzerte nur eine kleine Auswahl.

Bärtige Mexikaner.
Bärtige Mexikaner.

Angesichts der eher schnuckeligen Größe der Veranstaltungsgruft war dies auch besser so: Im gut gefüllten Keller blieb noch Luft zum Atmen übrig.
Auch den Musikern konnte die Publikumszusammenstellung nur willkommen sein. So wurde ihr erstmaliges Auftreten in Freiburg zum regelrechten Heimspiel, wofür sich der wildbärtige Frontmann Tito Fuentes tags darauf per Twitter überschwänglich bedankte.
Bekannt als Band alten Stils, die sich textlich wie musikalisch in wohltuend rotziger Manier politischem wie kulturellem Protest verschrieben hat, schöpft Molotov aus den tiefen Gründen schweren Metals, knallig rhythmisiert durch Hiphop-Elemente, um dennoch authentisch mexikanische Musikgeschichte fortzuschreiben. Von manchen selbsternannten Experten wird gar der Flamenco als eigentlicher musikalischer Hintergrund herbeizitiert, doch geht dies weiträumig am punkverwandten Dröhnen der teils mit zwei Bässen parallel instrumentalisierten mexikanischen Weisen vorbei. Textlich wird vor allem auf die traditionsreiche und breitenwirksame Zielscheibe US-Amerika angelegt, nicht ohne dabei das gleichermaßen konsensfähige Rassismus-Thema zu vergessen. Gut möglich, dass Molotov auch noch Tiefsinnigeres in den Texten verstaut hat, doch musste dies dem Schreiber dieser Zeilen aufgrund äußerst rudimentärer Spanischkenntnisse verborgen bleiben. Und dies, trotzdem bei etlichen Texten bunt zwischen Spanisch und Englisch hin und her geswitcht wird.

Publikum entert Bühne.
Publikum entert Bühne.

Was uns wieder zu den sprachvermixten Konzertbesuchern zurückführt: Kaum ertönten die ersten Klänge, war das Publikum hellauf begeistert bei der Sache. Etliche Stücke wurden schon im Auftakt frenetisch begrüßt um dann quasi vollständig mitzelebriert zu werden. Da konnten selbst einige arg hardrocklastige Passagen einem durchweg aufpeitschenden Konzerterlebnis keinen ernsten Schaden zufügen. Als nach knapp zweistündiger Spieldauer die Zugaben an die Reihe kamen, war es bei etlichen der Fans endgültig mit Zurückhaltung vorbei. Während die einen die Bühne tanzend zu entern begannen, wurde unten auf der Tanzfläche ein bereitwilliges Opfer über den Köpfen der Tanzenden umherbalanciert.
Zu jenem Zeitpunkt hatte die Raumbelüftung ihre Wirkung längst eingebüßt und zur aufgeheizten Stimmung trat ein tropenähnliches Luftgemisch aus Hitze und Schweiß. So verhalf Molotov seinen Freiburger Freunden noch obendrein zu einem Sommerfeeling, das die meisten trotz der ungewöhnlich kühlen Witterung noch nachhause begleitet haben wird.
Patrick Widmann

Spieldauer: ca. 120 Minuten

Homepage von Molotow
Jazzhaus Freiburg



20.07.2011, Lörrach, Marktplatz:
Die Ba, die Ba, die Badu
Erykah Badu auf dem Stimmen-Festival

Stimmen-Festival Tränen stehen Y´akoto in den Augen. Die Ehre, im Vorprogramm einer solchen Sängerin auftreten zu dürfen, merkt man jedem Wort an, mit der die Hamburgerin Y´akoto die nach ihr auftretende Erykah Badu ankündigt und genüsslich deren Namen mehrfach wiederholt und betont. Zuvor hatte die 23-jährige Tochter eines Ghanaers und einer Deutschen zusammen mit ihrer vierköpfigen Band Y'akotoschon einen mehr als ordentlichen Support auf dem Lörracher Marktplatz hingelegt in einem Set irgendwo zwischen Soul, afrikanischen Einflüssen und akustischem Songwriterpop, in dem Y´akoto auch Songs ihres Albums "Babyblues" spielte, darunter "Tamba", ein textlich wie thematisch bewegendes Lied über das Schicksal afrikanischer Kindersoldaten. Y´akoto steht in anderen Momenten auch ganz locker und selbstbewusst auf der Bühne, schneidet auch mal Grimassen und untermalt ihren ein wenig an Nina Simones Stimme erinnernden Gesang mit Gesten. Leider bleibt keiner ihrer Songs so richtig hängen, zumindest nicht nach einer guten halben Stunde.

So viel versprechend der Abend mit Y´akoto begonnen hatte, ihr Konzert war im Vergleich zu dem, was dann kam, nur Regionalliga. Erykah Badu ist ihr Leben lang schon auf der Suche nach dem heiligen Gral des Funk. Sie erzählt zwischen zwei Songs in einer Anekdote, dass in der Schule der Lehrer fragte, was alle später werden wollen. Die Antworten lauten Arzt oder Anwalt, nur die kleine Erykah sagt "I just wanna be funky". Und das ist sie in der Tat. Wobei der Look der Badu an diesem Abend ein seltsames Patchwork-Arrangement aus locker hängendem Pumphosenkleid und High Heels ist. Ein Look, der andererseits ganz gut die Vielseitigkeit ihrer Musik illustriert. Denn für das, was die 40-jährige Ausnahmesängerin in den zwei Stunden bietet, greift das Signet Soul zu kurz. Es wäre auch zu schade, ihrem exzellenten Bassisten den Slapfinger zu verbieten, mit dem er in vielen Songs dem Funk den Boden bereitet. Den Live-Sound der sechsköpfigen Badu-Band (plus vier BackgroundsängerInnen) pägt auch der Flötist, der behände zwischen Quer, Block und Pan wechselt und zusammen mit dem Percussionisten den jazzigeren Songs öfter gar eine psychedelische Note verleiht.

Eingestimmt - die Badu auf dem Stimmenfestival in Lörrach.
Eingestimmt - die Badu auf dem Stimmenfestival in Lörrach.

Ein großes Lob an Veranstalter und Mischer, selten hört man ein so gut abgemischtes Konzert einer solch umfangreichen Band unter freiem Himmel! Der perfekte Rahmen für eine fehlerlos spielende Band und eine im Laufe des Abends immer besser gelaunte Erykah Badu, die alles rausholt aus ihrer Stimme und keine Wünsche offen lässt in einem sehr gut ausgewogenen Set, das sowohl ihre Hits enthält als auch Platz für etwas Stimmimprovisation bietet. Hinterlassen ihre jüngeren Alben oft das Gefühl von Licht und Schatten, so offenbart die Badu live in ihrem Songreigen keinen Augenblick der Langeweile und hinterließ zuckende Leiber und Gliedmassen von jung bis alt. Jazz spielt genau wie Funk, Hiphop, R&B und Soul eine wesentliche Rolle innerhalb des Badu´schen Universums, das aber dank ihrer unverkennbaren Stimme und Art, mit dieser umzugehen und sie zu phrasieren immer so smooth klingt, als ob die legendären Hiphopper von A Tribe called Quest zusammen mit Billie Holiday musizieren würden.

Erykah Badu

Ungemein selbstbewusst inszeniert sich Erykah Badu ohne arrogant zu wirken und genießt bei der Zugabe auch das kurze Bad in der an diesem Abend leider nur knapp 1000 Besucher umfassenden Menge, die völlig gebannt und begeistert, aber vergeblich sich nach weiteren Songs die Seele aus dem Leib klatschte.
Götz Adler

Zuschauer: ca. 1000

Erykah Badu bei Flight 13
Erykah Badu bei allmusic
Homepage von Y´akoto
Stimmen-Festival



14.07.2011, ZMF Freiburg, Zirkuszelt:
Anziehen, Umziehen, Ausziehen
BONAPARTE, WHOMADEWHO, FM BELFAST

ZMF "You know Baudelaire, i like your hair,you know Churchill, i know Kill Bill, you know Tolstoi, i know playboy" singen Bonaparte auf dem Song "Too Much", der andere Undergroundhit ihres 2008 erschienenen Debutalbums trug den Titel "Anti Anti". Bereits in den beiden letzten Jahren streckten die von Berlin aus agierenden Bonaparte dem Establishment den gestreckten Mittelfinger des Hedonismus bei jeweils ausverkauften Konzerten im Café Atlantic und Mensabar entgegen. Eine Band auf dem Weg zum Kult dank ihrer grotesk-schrillen Liveauftritte. Was gäbe es für einen geeigneteren Rahmen als ein Zirkuszelt in einer Studentenstadt wie Freiburg für das bunte Bonaparte-Spektakel. Räudig-lässig schaut der Napoleon drein aka Tobias Jundt an Gesang und Gitarre, dazu ein gerne ein Hasenkostüm überstreifender Keyboarder, ein Drummer, ein wild agierender Bassist und drei, bei jedem Song mit neuem Outfit performenden SchauspielerInnen.

Der Bär, der Hase und das Mädchen - Bonaparte.
Der Bär, der Hase und das Mädchen - Bonaparte.

Die zwei Damen treten mal im Marie Antionette-Look, mal als catchende Punkmädchen, mal als burleske Zimmermädchen und sogar als laufende Computer auf, ihr Partner sorgt als Pickelhaube tragender Pogotänzer oder im Pferdekostüm für Begeisterung und Gejohle im tanzenden, jungakademischen Theaterzeltpublikum. Den Rock´n Roll-Cirque de Soleil begleitet das Quartett mit einer Mischung aus Punk, Rock, Balkansound, etwas Electronic und oft parolenartigen Refrains, gerade bei ihren Hits, und sie gehen in der bunten Maskenaktionsshow auch nicht verloren. Doch so skurril und unterhaltsam die Show ist: Die Provokationen bleiben letztlich nur Andeutungen, das Amüsement überwiegt die Verstörung.

Kein Elfenfolk sondern Electro-Pop - FM Belfast.
Kein Elfenfolk sondern Electro-Pop - FM Belfast.

Auch die anderen beiden Bands dieses Abends waren gekommen, um das Freiburger Zirkuszelt zum Tanzen zu bringen. Zunächst die Isländer FM Belfast, die mit den Elfenfolk-Klischees, die man von Island hat, ordentlich aufräumten. Und zwar mit Electro-Pop im Songformat, den die zu fünft auftretenden FM Belfast aber nicht überfrachten, sondern meistens aus wenigem einen optimalen Effekt erzielen, mit einer Synthieline, maximal einem weiteren Pianolick und nach vorne gehenden Dancebeats. Das singende Pärchen Árni Rúnar Hlöðversson und Lóa Hlín Hjálmtýsdóttir steht dabei klar im Vordergrund, abwechselnd, zusammen und noch mit einem dritten Sänger singen sie Popmelodien und klingen ein wenig wie eine modernere Version von Pet Shop Boys und Scissor Sisters. Eigentlich gründeten die beiden die Band 2005 als Weihnachtsüberraschung und brauchen sechs Jahre später keine Kostüme mehr für ihren Popsound. "I don´t want to go to sleep either" nennt sich der vielleicht prägnanteste Song ihres neuen Albums "How to make friends", und ins Bett gehen wollte auch noch längst keiner nach einer leider etwas kurz bemessenen halben Stunde zu Anfang eines Abends, der bei Bonaparte zumindest vor der Bühne voll war. Ein gelungener Warm-Up.

Ein Leuchten - Whomadewho aus Kopenhagen.
Ein Leuchten - Whomadewho aus Kopenhagen.

Dass ein Twitter aus Electronic und Rock auch etwas erwachsener klingen kann, bewies als zweite Band des Abend Whomadewho, ein dänisches Trio, das bisher auf dem Münchner Label Gomma und neuerdings bei den Kölner Electronic-Nerds von Kompakt seine Scheiben veröffentlicht. Als Trio waren sie vielleicht etwas eingeschränkter an diesem bühnenbewegten Abend, dafür wirkte ihr Auftritt umso geschmackvoller und musikalisch am ausgereiftesten. Whomadewho spielen - nicht ganz unähnlich LCD Soundsystem - entschlackten, funkigen Disco-Punk manchmal mit einem Touch No Wave, mit Slapbass, hohen Vocals und als Akzente garnierten Gitarren- und Synthiechords. Ein Auftritt, der den Pop auch mal hinten anstellen konnte und sich auf eine längere instrumentale Passage einließ.
Götz Adler

Bonaparte Homepage
Bonaparte bei Flight 13
FM Belfast Homepage
FM Belfast bei Flight 13
Whomade Myspace
Whomadewho bei Flight 13
ZMF Freiburg



11.07.2011, ZMF Freiburg, Spiegelzelt:
Beam me up, Sam.
Iron & Wine im Spiegelzelt des ZMF

ZMF Das diesjährige ZMF führte am Montagabend die Tradition fort, Bands aus den Grenzbereichen Americana, Folk und Indierock zu präsentieren. Nach mehr oder weniger gut besuchten Festival-Auftritten von Bands wie Sophia, Lambchop, Sophie Hunger oder Calexico in früheren ZMF-Jahren stand dieses Jahr Iron & Wine als Hauptgericht ohne Vorspeise auf der musikalischen Speisekarte. Iron & Wine stellten ihr jüngst erschienenes Album "Kiss Each other clean" vor, das es Anfang des Jahres bis auf den erstaunlichen zweiten Platz der US-Billboardcharts geschafft hat. Noch lange kein Grund, Iron & Wine in Freiburg auf die große Bühne zu stellen, und deshalb bot das mit knapp 300 Besuchern zwar nicht ausverkaufte, aber dafür angenehm gefüllte Spiegelzelt wenigstens noch etwas Luft an diesem warmen Sommerabend.
Iron & Wine ist in erster Linie Sam Beam, ein 36-jähriger dunkelblonder Vollbartträger, der sich auf Promofotos auch gerne als solcher stilisiert. Und dem man live jahrelange Erfahrung anmerkt. Auch im Zusammenspiel mit seiner umfangreich besetzten Band mit Bass, Gitarre, Keyboard, Drums, Percussion, Bläser und zwei Backgroundsängerinnen. Dazu Sam Beam als Vorsteher an Gesang und Gitarre als haariges, aber gepflegt aussehendes Zentrum mit großer Stimme und Charisma.



Ursprünglich entstammt der studierte Filmwissenschaftler Sam Beam einer ähnlichen Folkpop-Songwriter-Tradition wie Elliott Smith oder Nick Drake. Spätestens 2007 gelang ihm mit dem von der Presse gefeierten Album "The Shepherd´s Dog" auf dem Label Sub Pop der Durchbruch in den USA. Die Emanzipation vom zurückhaltenden, eher introvertierten Songwriter zum weltoffenen Musiker ist noch deutlicher seinem vierten Album "Kiss each other clean" anzuhören, das dem Folk zu entwachsen sein scheint und dessen Songs sich live ausnahmslos als Perlen offenbaren durch die variablen, mal sanften, mal seelenvollen Melodieführungen von Sam Beam´s Stimme. Die Band greift innerhalb der vornehmlich diesem Album entnommenen Setlist (ergänzt von einigen Stücken des Vorgängeralbums "The Shepherd´s Dog") immer wieder und gerne Elemente aus Funk, Jazz oder afrikanischer Musik auf, zusammen mit dem hervorragend abgestimmten Backgroundgesang keimt auch etwas Gospel. Und Country und Americana gehören sowieso zum Repertoire. Die oft in den Songs schon vorhandenen Freiräume für kurze, gemeinsame Improvisationen nutzte Iron & Wine manchmal gar zu Gunsten psychedelischer Ausgeladenheit mit Doors-Orgelsound. Bemerkenswert dabei oft die Polyrhythmik, das Querlaufen einzelner Instrumente in den Songs und die ineinander verwobenen Melodiebögen, die sich zu einer homogenen Gesamtheit verbinden, in der Bombast und Seele eng umschlungen miteinander flirten.



Die unterschiedlichen Intensitäten der Songs von Iron & Wine zieht die mit amerikanischem Indiesound eher weniger verwöhnten Freiburger Zuschauer schnell in den Bann, das sich zwischen Staunen und Andächtigkeit wiegt. Deutlich spürbar in den ruhigen Passagen, unter denen sich dann auch nicht das bei solchen Gelegenheiten oft auftretende Gesprächspegelrauschen schiebt. Und mit seinen rot, blau und violett schimmernden Kuppelvorhängen und dem immer weniger durch die Kirchenglasfensterimitate einfallende Außenlicht bietet das Spiegelzelt den äußerst stimmungsvollen Rahmen für das leider nach rund 80 Minuten und nur einem Zugabesong endende Konzert.
Götz Adler


Iron and Wine bei allmusic.com
Iron and Wine bei Flight 13 Mailorder Freiburg
Iron and Wine Homepage
ZMF Freiburg



10.07.2011, ZMF Freiburg, Zirkuszelt:
Alle Menschen könnten Brüder sein
Giora Feidmann wirbt musikalisch für den Weltfrieden

ZMF Laut Alexander Heisler hat der ZMF-Ehrenpreisträger Wolfgang Niedecken das Festival auf dem Mundenhof als "bestes der Welt" bezeichnet. Manch einer mag das für leicht übertrieben halten, von denen befand sich am Sonntag aber offensichtlich keiner im vollen Zirkuszelt. Ein total euphorisiertes Publikum feierte den Klarinettisten Giora Feidmann und wohl auch sich selbst.
Dr. Heisler kündigte zu Beginn an, der Schauspieler Michael Mendl würde zuerst einen kurzen Ausschnitt aus Feidmanns Buch "Du gehst, du sprichst, du singst, du tanzt", lesen. Und Mendl las und las und las. Als man sich zu fragen begann, wie dehnbar der Ausdruck "ein kurzer Ausschnitt" wohl sei, kam er dann doch noch zum Ende und erhielt erleichterten Beifall.

Keinerlei Berührungsängste. Giora vor dem Auftritt.
Keinerlei Berührungsängste. Giora vor dem Auftritt.

Dann endlich, gab es Musik. Giora Feidmann näherte sich, wie bei allen seinen Konzerten der Bühne von hinten durchs Publikum. Er intonierte auf seiner Klarinette "Hava Nagila Hava", ein altes hebräisches Volkslied, und animierte das Publikum zum Mitsingen. Das sollte er im Laufe des Abends noch des Öfteren tun. Und die Fans ließen sich nie zweimal bitten. Auf der Bühne angekommen, bot er zusammen mit dem Gershwin Streich-Quartett ein erstes, mitreissendes Set mit Stücken von Astor Piazzolla und Mozart. ("Der Doktor sagt: Spiel Mozart, also spiel ich Mozart").
Nach der dann folgenden Pause war erst mal wieder Michael Mendl an der Reihe mit einer weiteren Lesung, Moye Kolodin, der ZMF-Preisträger 2011 brachte dem Meister ein Ständchen auf dem Klavier und ein Freund von Alexander Heisler hielt eine etwas wirre Rede in der es wohl um die Gründung einer Stiftung ging.

Kommt in meine Arme!
Kommt in meine Arme!

Danach betraten die Musiker des Giora Feidmann Ensembles die Bühne und dann ging die Post richtig ab. In wechselnden Zusammenstellungen (Rahmentrommel und Gesang, Blockflöte und Trommel, Akkordeon und Mandoline) zelebrierte die Band schier unglaubliche Musik, wobei sich der Meister oft im Hintergrund hielt. Trat er in den Vordergrund entlockte er seinem Instrument selten gehörte Töne. Zwischendurch warb er immer wieder für den Weltfrieden ("Vier Religionen auf der Bühne, aber nur eine Sprache: Musik"). Als praktisches Beispiel verknüpfte er musikalisch die Deutsche, Israelische und Palästinensische Nationalhymne. Die Musikanten sprühten nur so vor Spiellaune und erhielten immer wieder Beifall auf offener Szene, einige der restlos Begeisterten drifteten allerdings auch ins leicht infantile ab und störten mit ihren überbordenden Jubelstürmen die Vorträge doch teils erheblich.
Lässt man die sicher diskussionswürdigen Programmteile ausser Acht, so war es eine hervorragende Demonstration musikalischer Vielfalt und echter Kreativität. Hoffentlich erhält sich Giora Feidmann noch lange seine Gesundheit. Dieser Mann darf wohl immer gerne zum ZMF wiederkommen. Und da er ja nicht jedes Jahr 75 wird, wäre es das nächste Mal sicher auch wieder mit einem "stinknormalen" Konzert getan.
the Bishop

Die Mitwirkenden:
Giora Feidmann, Enrique Ugarte, Raúl Alvarellos, Avi Avital, Murat Cosçun, das Gershwin-Quartett, die ZMF-Preisträgerband und Michael Mendl.

Heimatseite von Giora Feidmann
ZMF Freiburg



08.07.2011, ZMF Freiburg, Zirkuszelt:
Weltklassemusiker spielen Blood, Sweat & Tears


ZMF Alex Heisler kündigte bei seiner obligatorischen Begrüßung an, "die besten Blood, Sweat And Tears" aller Zeiten verpflichtet zu haben, die es je gab. Das sei jedenfalls die Aussage des Managers der Combo.
Dass kein einziges Gründungsmitglied mehr zur Band gehört "kann schon mal vorkommen bei einer Band die es seit über 40 Jahren gibt".

Sorgte immer für den richtigen Groove: Gary Foote.
Sorgte immer für den richtigen Groove: Gary Foote.

Das Publikum im mäßig gefüllten Zirkuszelt war jedenfalls von den ersten Tönen an aus dem Häuschen. Die neun Herren, die sich "Blood Sweat And Tears" nennen, lieferten aber auch eine wirklich beeindruckende Leistung ab. Im Rock, Jazz und Funk gleichermaßen zu Hause, spielten die Herren astreine Versionen von Klassikern der Bandgeschichte, schreckten aber auch nicht vor " Got to get you into my life" der Beatles oder später, als Zugabe, vor "Burning Down The House" der "Talking Heads" zurück.

Immer exakt und richtig funky: Dave Gellis.
Immer exakt und richtig funky: Dave Gellis.

In jedem der Songs bekam ein Bandmitglied die Gelegenheit, mit einem Solo sein Können zu demonstrieren, wobei sich vor allem die Bläser hervortaten. Gary Foote am Bass und Andrea Valentini am Schlagzeug legten ein stets groovendes Fundament, auf dem sich die Kollegen nach Herzenslust austoben konnten. Je länger das Konzert andauerte, desto mehr ging das Publikum aus sich heraus und feierte jede Soloeinlage frenetisch. Die Stimmung war super, die Band auch… und niemand störte sich daran, dass er im Prinzip einer Blood, Sweat And Tears Coverband lauschte.
The Bishop

Spieldauer: 120 Minuten

Die heutigen Blood,Sweat And Tears sind:
Rob Paparozzi (voc, harmonica), Dave Gellis (git), Glenn McClelland (keys), Teddy Mulet und Steve Jankowski (tp), Jens Wendelboe (tb), Tom Timko (sax), Gary Foote (b), Andrea Valentini (dr)

Homepage von Blood, Sweet & Tears
ZMF Freiburg



07.07.2011, ZMF Freiburg, Zirkuszelt:
Juli wirft das Handtuch
Bosse und Juli rocken das Zirkuszelt

ZMF Just heute haben wir einen Artikel in der taz gelesen, in dem sich der Autor darüber auslässt, wie unkompetent die bei der Frauen-WM rund 2000 akkreditierten Journalisten in Sachen Frauenfußball eigentlich sind. Als jahrelanger Begleiter des hiesigen Bundesligisten maßen wir uns zwar bei dieser Ballsportart durchaus Kompetenzen an, aber darum geht es heute nicht, sondern um Juli. Und da geht es einem wie oben erwähnten 2000 KollegInnen.
Selbstverständlich kennen wir Die perfekte Welle und erinnern uns daran, dass diverse Radiostationen albernerweise das Lied nach dem Tsunami Weihnachten 2004 in Südostasien aus dem Programm genommen haben. Aber sonst? Kompetenz in Sachen Juli: Fehlanzeige!
Einmal mehr sind wir viel zu früh auf dem Festivalgelände (was heute angesichts des Weltuntergangwetters nicht unbedingt ein Spaß ist), hängen so unseren Gedanken nach und fragen uns, ob wir langsam reaktionär werden. Oder ist es normal, dass man sich über einen Hartz-IV-Empfänger echauffiert, der auf Kosten der Arbeitsagentur den LKW-Führerschein macht und drei Tage nach erfolgreicher Prüfung wegen einer Trunkenheitsfahrt selbigen gleich wieder abgeben muss. Sollte man so jemandem nicht die Kosten für die Fahrausbildung und Prüfung gerade wieder abziehen? (Zumal dann, wenn man weiß, dass er neben seinen Hartz-IV-Bezügen noch Einnahmen generiert, die der Agentur nachgeradezu selbstverständlich verschwiegen werden.) Man möchte ihm mit Jeffrey 'The Big' Lebowski zurufen: "Mach's wie Deine Eltern, such Dir Arbeit!"

Bosse.
Bosse.

Vielleicht brauchen wir doch mal eine ideologische Gehirnwäsche? (Um jegliches Missverständnis auszuräumen: Der Typ ist sicherlich die Ausnahme, der die Regel bestätigt, den meisten Hartz-IV-Empfängern geht es nicht gut und eigentlich bin ich ein Fan der bedingungslosen Grundsicherung.) Aber was hat das alles mit Juli und Bosse zu tun? Nichts. Deshalb schnell die Gedanken weggewischt und ab ins Zirkuszelt, wo zunächst Bosse angesetzt ist, wer oder was immer das auch sei, werden wir erfahren.
2005 debütierte die Band Bosse mit Frontmann Axel Bosse und dem Album Kamikazeherz, dem bislang drei weitere Alben folgen sollten. Schlagzeuger Björn Krüger hat derweil ein Heimspiel, wie Axel Bosse verrät: "Es ist so süß, der Typ da hinten ist in Freiburg geboren und seine Eltern sind heute Abend da, ich hab noch nie so einen aufgeregten Typen vor einem Konzert gesehen." Süß, in der Tat. Bosse rockt und ganz offensichtlich ist ein Großteil des Publikums nicht nur wegen dem eigentlichen Hauptakt Juli zugegen.
Das Wasser strömt aus der Fassung - warum löst der Fehlerstromschutzschalter nicht aus?Nach einer Dreiviertelstunde ist es vorbei, die Umbaupause beginnt und inzwischen ist der Regen auch auf dem Festivalgelände angekommen. Der, von dem der Unvermeidliche noch vor Bosse meinte, dass es schön sei, dass er in Freiburg geblieben sei und nicht auch das Festivalgelände heimsucht. Wir warten unter einer Plane darauf, zum Fotograben geleitet zu werden, entdecken Glühlampen, die aussehen, wie die Wasserspeier am Freiburger Münster und wundern uns als Elektriker, warum die Fehlerstromschutzschalter nicht längst ausgelöst haben.
Aber sei's drum, Juli lässt ein wenig länger auf sich warten, als avisiert, im Fotograben werden wir von einer höchstens Zwölfjährigen in der ersten Reihe angetippt und es wird einem bedeutet, man möge doch bitte aus der Sicht gehen. In zehn Minuten sind wir wieder weg, denken wir uns - an Sprechen ist bei der Lautstärke nicht zu denken - und machen ein paar Fotos. Moment, war das eine Zwölfjährige? Ja, und es ist bei weitem nicht die einzige, die sich da am Gitter der ersten Reihe drängt, wir heben das Durchschnittsalter also erheblich und fragen uns, was wir hier eigentlich machen. Nach der Fotoaktion in Reihe Null setzen wir uns in die hinteren Ränge und stellen fest, dass es heute doch sehr laut ist im Zirkuszelt, so laut, dass wir das Klopapier im Ohr stecken lassen, wird einem doch mitunter schon Schwerhörigkeit vorgeworfen, was man ja nicht noch forcieren muss. Mag sein, dass es an besagtem Papier im Ohr liegt, aber die Sprachverständlichkeit des Gesangs lässt - bei eigentlich insgesamt gutem Sound - noch ein paar Wünsche offen.

Juli.
Juli.

Juli machen eine nette Show, haben im Bühnenhintergrund mitunter hübsche Animationsfilmchen laufen, hie und da hopst das Publikum mit, und die gebürtige Schwäbin Eva Briegel versucht sich sogar an einer Akrobatikeinlage in dem sie sich auf die Oberschenkel der beiden Gitaristen stellt. "Ganz schön anstrengend" meint sie hernach. Nach einer knappen Stunde wird dann Die perfekte Welle mit einer La Ola eröffnet, der wohl größte Hit wird fett gerockt, aber das Publikum rastet dennoch nicht komplett aus. Kurz darauf verabschiedet sich Juli schon das erste Mal von der Bühne, lassen sich aber nicht lange bitten, um ihre viertelstündige Zugabe zu geben. Am Ende wirft einer der Gitaristen sein Handtuch in die Menge - welch Symbolik.
jh

Zuschauer: ca. 1400
Spieldauer:
Bosse: 45 Minuten
Juli: 85 Minuten

Juli sind:
Eva Briegel, Gesang
Jonas Pfetzing, Gitarre, Tasten
Simon Triebel, Gitarre, Gesang, Tasten
Andreas Herde, Bass
Marcel Römer, Schlagzeug

Bosse sind:
Axel Bosse – Gesang, Gitarre
Thorsten Sala – Gitarre
Sonja Glass – Bass
Stefan Lenkeit – Piano
Chris Heiny – Drums

Homepage von Juli
Homepage von Bosse
ZMF Freiburg



05.07.2011, Freiburg, ZMF, Spiegelzelt:
Ayo? A, jo!


ZMF Bereits mit ihrem Debütalbum Joyful 2006, der ausgewogene Mischung aus Soul, Folk und Reggae-Rhythmen garniert mit ihrer sanften Stimme hat mich Ayo erobert. Die in Köln geborene Joy Olasumibo Ogunmakin zeigt durch ihre Musik eine Nonchalance, die mich an Paris erinnert, wo sie jetzt lebt...
Dienstagabend aber war sie zu Gast im Spiegelzelt auf dem Freiburger Zelt-Musik-Festival. Warum in diesem Jahr Zelte stehen, kann ich mir nicht wirklich vorstellen, die letzten Jahre standen sie, um die Zuschauer vor Regen zu schützen, dieses Jahr vielleicht vor einem Sonnenstich? Jedenfalls hätte das Konzert auch Open-Air stattfinden können, die Sonne ging langsam Richtung Horizont, die Leute waren leicht gekleidet, sogar teils barfuss. Hippies sterben wohl nie aus...

Ayo

Nachdem der unvermeidliche Alex Heisler, bereits kurz nach Halb seine Grußworte beendete, forderten Zuschauerinnen und Zuschauer applaudierend den Konzertbeginn, doch Ayo ließ sich noch zehn Minuten Zeit ehe sie tatsächlich die Bühne betrat. Vielleicht war sie nervös? Immerhin knapp 600 Leute warteten auf die Künstlerin, wie 600 Löwen in der Mitte des runden Zelts. Da kam sie also, alleine und startete mit How many people? und hat damit die Musik-Karnivore gleich gezähmt. Wie zu vermuten war es inmitten so viel Fell richtig warm und Ayo sang es im dritten Song (Help is coming) auch auf Deutsch: es ist heiß / aber lieber heiß als kalt! Sogar der Schlagzeuger bat einen Bühnenarbeiter, den Ventilator auf ihn zu richten.
Ayo sang nicht. Sie erzählte Geschichten. Sie nahm das Mikrophon als ob sie jemanden umarmen wollte und brachte sanft dazu die Zuschauer, zuzuhören. Schon schön. Aber manchmal ein Tick zu lang(weilig), wie bei It´s too late. Aber dank der vier Männer im Hintergrund, die ganz offensichtlich ihren Spaß hatten, konnten die fünf auf der Bühne auch unsere Beine zum Wackeln und das Publikum zum Tanzen bringen! Der Bassist rollte sein Kopf hin und her, als er einen Groove einmischte; er wog sich in die Hüfte, der Drummer blieb kaum sitzen, der Gitarrist warf einige krasse Riffs während der Keyboarder das Ganze auf seiner Hammond rund und funky einwickelte! Das machte richtig Spaß!

Ayo

Variationen gab es auch. Sie improvisierten Hip-Hop, bevor sie ein paar Songs von Michael Jackson (Shake your body, Wanna be starting something) und von den Jackson Five (I want you back, ihr aktueller Hit übrigens) spielten. Sie trug sogar eine schwarzes Jackett und einen glitzernde Handschuh an der rechten Hand und probierte sich am Moonwalk! Mmh, nicht ganz das Original...
Zum Schluss, als sie den Song Down on my knees alleine mit einer Folk-Gitarre anstimmte, zeigte sie, dass sie nicht nur eine tolle Stimme hat, sondern dass sie auch das Instrument beherrscht. Ich war schon von ihrer starken rechten Hand beeindruckt, womit sie knifflige Rhythmen aus Funk und Reggae brachte. Die ganze Besetzung kam dann einer nach dem anderen auch noch, um uns das Finale mit lauter Urban Soul Music als Ohrwurm zu schenken.
Loïc

Zuschauer: ca. 600
Spieldauer: 2h10

Homepage von Ayo
ZMF Freiburg



01.07.2011, ZMF Freiburg, Zirkuszelt:
So macht man ein Wurstbrot
"Sommerfest des Migrantenstadl"

ZMF Die Walpurgisnacht 2011 hatte es in sich für Georg Schramm. Mit "Arschloch"-Rufen von "den vornehmen Plätzen", wie die Badische Zeitung berichtete, wurde Georg Schramm in jener Nacht bei der Verleihung des Baden-Württembergischen Kleinkunstpreises im Ruster Europa-Park, beschimpft, der seinerseits den anwesenden CDU-Politikern - damals zwar schon abgewählt, aber noch in Amt und Würden - (wobei 'Würden' ja ein alberner Begriff sei), den Spiegel vorhielt ("ich schätze mal, 30 Prozent der Männer im Saal sind doch eigentlich auf CDU-Ticket hier als Altersversorgung" und "Eine Landesregierung, die nicht in der Lage ist, einen Pflasterstein von einer Kastanie zu unterscheiden, hat nichts anderes verdient, als in den Orkus der Bedeutungslosigkeit gestoßen zu werden.") Von einer "unglaublich charakterlosen Sauerei" sprach gar Marianne Mack, die Gattin des Europa-Park-Chefs, Roland.
In Hochform: Georg Schramm als Lothar Dombrowski. Er ist also in Hochform, der 62-jährige Altmeister des deutschen Kabaretts, dem auch die Fußstapfen der lebenden Legende Dieter Hildebrandt nicht zu groß sind. Wenn er es denn überhaupt nötig hat, in diese zu treten. Und in Freiburg - zwei Monate nach dem Eklat in Rust - ist das große Zirkuszelt des ZMF bis auf den letzten Platz besetzt, mehr sogar, was man sonst nur von Flugzeugen kennt, passiert auch beim ZMF, die Veranstaltung ist "überbucht" und so werden eilends noch da und dort Stühle hinzu geschoben.
Mit 20 Minuten Verspätung betritt der Unvermeidliche die Bühne nicht - Herr Dombrowski bedauert es, dass der "ungekrönte König der Grußworte" verhindert sei - Herr Dr. Heisler sitzt in der ersten Reihe.
Schramm alias Lothar Dombrowski nutzt seine einleitenden Worte, um das aktuelle politische Geschehen zu kommentieren. So begrüßt er unter anderem den am Vortag beschlossenen 'unumkehrbaren' Atomausstieg, und widerspricht allen, denen es zu lange geht und die dafür die Rübe nicht hingehalten hätten: "Ohne eure Rübe wäre das nicht passiert!"

Jochen Malmsheimer im Zwiegespräch mit Lothar Dombrowski.
Jochen Malmsheimer im Zwiegespräch mit Lothar Dombrowski.

Der Übergang zu Jochen Malmsheimer ist fliegend und er gibt eine Story zum Besten, wie er dereinst seinem Sohn eine Eisenbahn gekauft hat. Wortreich, etwas surreal ("eine Eisenbahn im Maßstab 1:2"), unpolitisch aber trotzdem lustig. Für das Politische ist dann Herr Dombrowski wieder zuständig, der im zweiten Teil seiner Ausführungen den Zorn des Volkes beschwört und Angela Merkel unterstellt, der Atomausstieg sei nur aus Opportunismus zustande gekommen. Doch das sei egal, solange sie opportunistisch gegenüber dem Volk sei. Wenn sie den gleich weitermachen würde mit einem Abzug aus Afghanistan, einem Berufsverbot für Anlageberater, etc...

Dada oder Gaga? Nordkvark.
Dada oder Gaga? Nordkvark.

Danach kam der schwierigste Teil des Programms. Nordkvark, drei durchgeknallte Finnen, "die größten des Dadaismus", wie Schramm sie im Vorfeld ankündigte, was aber keine Kunst sei, denn sie seien auch die einzigen. Kaum zitierbare Wortakrobatik auf Deutsch, Englisch und vielleicht Finnisch, Abbas Waterloo mit neuem Text - so weit so gut. Nach ihrem ersten Lied brauchen sie erst mal eine Pause und veranstalten auf der Bühne ein "Ritual" - sie braten Fischstäbchen und loben derweil das Gastgeberland: "We like German cars - Mercedes Benz, because they have a fadenkreuz in the front". Danach nimmt die Witzigkeit rapide ab, und schon meldet sich Volkes Stimme zu Wort, der Mann von der Straße, das Salz der Erde: Akustisch gesehen so um die fünf Zuschauer fordern lautstark "Aufhören!", "des isch ä Schissdreck, was ihr do mache" und "ihr könnt nach Hause gehen". Sind die gekauft, um das Rust-Feeling auch nach Freiburg zu transportieren? Kein Sinn für Dada? Oder Gaga?
Die anschließende Pause ist jedenfalls dazu angetan, die Gemüter wieder etwas zu beruhigen, Jochen Malmsheimer eröffnet den zweiten Teil mit der Erklärung, wie früher ein Wurstbrot gemacht wurde: "Graubrot mit eigenem Geschmack (die Älteren werden sich erinnern), daumendick Butter und drei - in Worten und Zahlen drei - Scheiben Cervelatwurst - der Krieg ist vorbei." Das galt solange bis zum vermaledeiten Tag, an dem ein "Bäckerschwuchtel darauf kam, da Mayo drauf zu schmieren und Tomate und Salat drauf zu legen. Man hat das Gefühl man beißt in einem Komposthaufen."
Früher habe man noch Radio gehört, wenn die Nachrichten liefen, musste man mucksmäuschenstill sein, "man wusste nicht, was Chruschtschow vorhatte", "früher war es ja so, dass in den Nachrichten vor der Meldung immer erst die Stadt genannt wurde, damit man wusste, wenn man 'Bonn' hörte, konnte man aufs Klo gehen." Dem lässt er eine Art Radiohörspiel folgen, natürlich live vorgetragen, was Schramm im Nachgang zu dem Satz verleitet: "Wenn Vico von Bülow hier säße, er würde sagen 'ich kann in Ruhe sterben, es gibt Nachwuchs'". Im letzten Teil thematisiert Dombrowski noch die Sprache der Politiker und generiert "ein Hauch von Sportpalaststimmung".

Ars Vitalis - ''surrealistisches Musiktheater mit intellektuellem Klamauk''.
Ars Vitalis - "surrealistisches Musiktheater mit intellektuellem Klamauk".

Den Abschluss des Abends bestreitet das Trio Ars Vitalis die im Programmheft als "surrealistisches Musiktheater mit intellektuellem Klamauk" angepriesen werden. Nette Musik, die aber nicht dazu angetan war, die Lachmuskeln zu belasten und auch sie sehen sich Unmutsbekundungen aus dem Publikum ausgesetzt, was sie aber nicht ficht, sie ziehen es einfach durch.
Unterm Strich bleibt: Ein gewohnt brillanter Georg Schramm, ein überaus lustiger Jochen Malmsheimer, eine eher überflüssige Dada-Einlage von Nordkvark und ein unterhaltsamer musikalischer Abschluss durch Ars Vitalis.
jh

Zuschauer: 2200 (restlos ausverkauft)
Spieldauer: ca. 2,5 Stunden netto

Homepage von Jochen Malmsheimer
Homepage von Nordkvark
Homepage von Ars Vitalis
ZMF Freiburg



30.06.2011, Zirkuszelt, ZMF Freiburg:
Adieu im Tal der Ahnungslosen
Grand Orientet und Till Brönner

ZMF So kommt man unverhofft zu seinem ersten Besuch beim diesjährigen ZMF. Dr. Killerkatze ist kurzfristig verhindert und muss vertreten werden. Der natürliche Ersatz will es leider nicht mehr sein und zieht es vor, sich in der SBZ aufzuhalten, statt im wunderschönen, sonnigen Südbaden. Sonnig? ZMF? Eigentlich steht das ZMF ja im Ruf stets bei Regen stattzufinden, doch nicht in diesem Jahr, wo zwar vieles - wenn auch nicht alles - sonnig ist, aber das Wetter auf jeden Fall.
Viel zu früh hirbeln wir noch ein wenig herum, hören vom Fürstenbergzelt her eine Coverband, auf der Kleinkunstbühne tritt ein mäßiger englischer Komiker oder Jongleur auf. Bei der "historischen Flammkuchenbäckerei" holen wir uns einen Flammkuchen, allerdings einen frischen, dazu gibt es eine politisch korrekte Afri-Cola und zum Dessert leckere Schoko-Banane.
So gestärkt betreten wir das Zirkuszelt und stellen fest, dass wir den Altersdurchschnitt nicht wie so oft heben, sondern ihm eher entsprechen dürften. Der Platzanweiser kann schon bis sieben zählen und der unvermeidliche Alex Heisler rühmt zu Beginn seine guten Drähte "nicht nur zu Kachelmann" - was immer er damit sagen will. Jedenfalls zeige sich heute Abend, dass Freiburg eine Jazzstadt sei, denn es sei schon ein Risiko, in zwei Zelten parallel Jazz anzubieten. Das heute noch das zweite WM-Gruppenspiel der Deutschen ist, scheint dagegen kein Problem zu sein. 2006 gab es da groß angelegtes Public-Viewing, in diesem Jahr sucht man auf dem gesamten Festivalgelände vergeblich nach einem Fernseher.

Grand Orientet, üppig instrumentiert.
Grand Orientet, üppig instrumentiert.

Die Vorgruppe verlangt uns eine noch größere intellektuelle Leistung ab, als die Damen in Reihe Sieben dem Platzanweiser: gleich 14 Mann (und Frau) hoch kamen diese auf die Bühne und gefallen mit üppig instrumentierten Jazz, ein Basssolo hier, ein Trompetensolo da, ruhige, ja nachgeradezu tragische Passagen im Wechsel mit rhythmischen nach vorne Losgehen. Es hat sich in jedem Fall gelohnt, nicht zu spät zu kommen, was man nicht von jeder Vorgruppe behaupten kann.
Der unvermeidliche Alex Heisler schickte sich hernach an, den Stargast des Abends anzukündigen: Herrn Brönner, dessen Trompetenstil für gewisse Teile der hiesigen Jazzwelt einer Erleuchtung gleichkommt. Doch was da leuchtet werden wir im Folgenden noch näher beleuchten müssen.

Wenn zum Beispiel ein gut gereifter Mensch den Jazz nun einmal besonders gerne mag, wenn dieser Mensch nun auf einen völlig unausgereiften, ja in jeder Hinsicht durch Mainstream-Medienangebote an seiner Reifung gehinderten Menschen trifft, für dessen Ohren Jazz nur chaotisches Gefiepe bedeutet. Dann könnte es wohl geschehen, dass der erstere Ausgereifte dem letzteren Unbehauenen ein Angebot unterbreitet: Hör doch mal bei Till Brönner rein, dann wirst vielleicht auch du den Schlüssel zum Genuss höherer Kultur des 20. Jahrhunderts finden.
Was bietet Brönner auf, um diese so unterschiedlichen Menschen zu versöhnen? Was ist sein Geheimnis, musikalische Schnellgarungsprozesse herbeizuführen? Dies erfuhr für Sie das Dorfgeschwätz beim Auftritt des bundesdeutschen Trompetenwunders an einem schaurig kalten Donnerstagabend inmitten eines ebenso schaurigen Publikums.
Zunächst einmal hat Herr Brönner einen handwerklich ausgereiften Frisör. Des Weiteren verfügt er über eine vertrauenserweckende Physiognomie, die ihn, solange er nicht singt, recht kernig und geradezu weltmännisch erscheinen lässt. Die übrige konnektive Wirkung liegt dann tatsächlich im musikalischen Bereich - zumindest solange er nicht singt.
Till Brönner.Am Beginn des Konzerts standen geschmacksneutral gehaltene sphärische Klänge, die an den Ruheraum einer Kurhaussauna erinnerten und überwiegend einer Querflöte entstammten. Eine Trompete war ebenso wenig zu hören wie Brönner zu sehen. Hier kommen wir auf ein erstes Qualitätsmerkmal von gutem Jazz zu sprechen, das dem Publikum in äußerster Behutsamkeit nahe gebracht wurde: Je größer die Bedeutung des Musikers im Ensemble ist, desto sparsamer bemisst er seine Einsätze. So haut der Drummer unaufhörlich drauf und zeichnet sich gerade dadurch als lediglich schmückendes Beiwerk aus.
Später brach Brönner mit diesem Prinzip, um andere Jazzqualitäten besser demonstrieren zu können. So zum Beispiel die der nichtimprovisierten Improvisation. Hierbei werden Versatzstücke alter und uralter Stücke in hoher Klangreinheit und möglichst hoher Geschwindigkeit durchgeturnt, was mit Jazz im Grunde zwar wenig zu tun hat, doch wenigstens so klingt.
Weiter wagte Brönner einige Schmuseattacken mit dem Genre des Schnulzenpops, wofür er zeitweise auf sein Instrument verzichtete und sang, so gut er es eben konnte. Auch dies sollte freilich ausgemachten Jazzverächtern durch den Rückgriff auf Vertrautes Vertrauen einflößen.

Till Brönner und Band

Dem Eindruck nach genießt Brönner den Beistand hervorragender Imagecoaches, die ihm offensichtlich verboten haben, beim Singen ins Tänzeln zu geraten. Wenn sich dann und wann erste Tanzeszuckungen regten, wurden sie stets mit einem kategorischen Nein seines Über-Ichs im Keim erstickt, was größerer Peinlichkeit vorbeugte. Doch das Singen war ihm bedauerlicherweise nicht auszutreiben gewesen, ganz zum Entzücken jener, die sich auf dem verheißungsvollen Weg vom Radio-Regenbogen-Pop zu neuen Ufern wähnten.
Dagegen hat er's auf seinen Blechinstrumenten wirklich drauf, so viel ist sicher. So kann man Brönner immerhin dazu beglückwünschen, auf seinen Instrumenten handwerklich mindestens ebenso ausgereift zu sein wie der bewusste Frisör auf den seinen.

Zur Zugabe setzte sich Brönner an einen Fender Rhodes: "Sie kennen sicher diese Szene, als sich Ray Charles im Film The Blues Brothers in seinem Musikaliengeschäft an einen Fender Rhodes setzt", meint Brönner und spielt den ersten Lick von Shake your Tailfeather, was das Publikum zu einem kurzen Begeisterungssturm hinriss. "Das funktioniert nur in einer Stadt nicht: Dresden." Als er diese Ansage in Dresden gemacht habe, sei es totenstill geblieben, er habe dann den Satz "Sie kennen sicher diese Szene" mit "offensichtlich nicht" ergänzt und war froh, dass es schon die Zugabe war und er sich alsbald aus dem Staub machen konnte. Adieu Tal der Ahnungslosen - willkommen in den Höhen ehrwürdiger Jazzkultur.
jh/Patrick Widmann

Zuschauer: ca. 1000
Spieldauer:
Grand Orientet: ca. 45 Minuten
Till Brönner: ca. 2h15

Es spielten:
Grand Orientet: Gary Barone / Zdravka Schneider -Violin (BUL) / Sylvia Oelkrug - Violin (D) / Violina Sauleva - Viola (BUL) / Garo Atmacayan - Violoncello (ARM) / Gary Barone - Trumpet (USA) / Yavuz Duman - Trumpet (TR) / John Sahutske - Trumpet (USA) / Mike Schweizer - Sax (D) / Nikolaus Halfmann - Sax (D) / Max Zentawer - Guitar (D) / Christian Bachmann - Bass (SUI) / Ro Kujpers - Percussion (NL) / Frank Bockius - Drums, Percussion (D) / Shakir Ertek- Drums, Percussion (TR)

Till Brönner:
Wolfgang Haffner - Drums
Christian von Kaphengst - Bass
Magnus Lindgren - Sax, Flute
Jasper Soffers - piano


Homepage von Till Brönner
Homepage von Grand Orientet
ZMF Freiburg



29.06.2011, Spiegelzelt, ZMF Freiburg:
Verhexte Feen unter Wasser
Ganes auf dem nassen ZMF

ZMF Ein Rai de soredl (ladinisch für Sonnenstrahl) war zur Eröffnung des ZMFs angekündigt, bei dieser Ankündigung blieb es dann auch - die stete Bewässerung von oben, pünktlich zu Beginn des ZMFs, verwandelte den Boden mal wieder in eine Seenlandschaft. Allerdings wäre die Hitze der vorangegangenen Tage auch nicht besser gewesen, also schnell rein ins Zelt… doch halt! Vor dem Zelteingang steht eine beachtliche Menge an Regenschirmen und von Innen schallen seltsame Laute - der Soundcheck dauert wohl noch etwas... Also erst mal die Fressbuden auskundschaften und dabei nasse Füße bekommen: außer Kartoffelecken und Calamaresringe beim Mundenhofstand gibt's nichts Neues an der Verpflegungsfront.
Endlich im Zelt bei noch andauerndem Soundcheck bildet sich eine lange Schlange am Ausschank - wie immer zu Beginn des ZMFs muss sich erst mal alles einspielen. ZMF unter Wasser.Wenigstens wird man Drinnen beim Schlange stehen nicht nass, wundert sich höchstens über die eine oder andere Rückkopplung und über das nicht enden wollende Rumgemäkel an der Technik. Selbst während des Konzertes soll noch mit wild fuchtelnder Gestik dem Tontechniker und auch dem Publikum ständig der mangelnde Soundcheck in Erinnerung gerufen werden...

Als Ganes werden in der ladinischen Mythologie Wasserwesen bezeichnet, die eine Mischung aus bösen Hexen und guter Fee darstellen. Die drei jungen Frauen aus den Dolomiten, die in ihrer Muttersprache Ladinisch singen, verloren ihre Zauberkraft wohl ein wenig in dem Stau auf dem Weg nach Freiburg. Die Geister so aus dem Gleichgewicht gebracht, kamen die Sonnenstrahlen nicht richtig gegen die Wolken an und auch das Motto ihres neuen Albums Mai Guai (in etwa: 'ohne Sorgen') stimmte an diesem Abend nicht. Da waren die Probleme mit der Technik, das Lichtkonzept, das nicht zu der Stimmung der Lieder passte, die Hektik durch die späte Anreise. Insgesamt hätte mehr Konzentration aufs Wesentliche - auf den schönen, rhythmisch starken Gesang der drei Frauen, die Wehmut und Sehnsucht der Geigentöne, auf Melodielinien und Zusammenspiel - dem Konzert sehr gut getan. So wurde die Stimmung der Lieder durch die vielen Geschichten manchmal zerredet, wurden seltsam anmutende Choreographien dargeboten, verschwammen die lichten Momente der a-cappella Passagen und Instumentalsoli im wenig abwechslungsreichen Mainstream-Popgedudel.

Drei ladinische Wasserhexen.
Drei ladinische Wasserhexen.

Ganes kann auch anders, wenn die gut ausgebildete und berührend klassische Gesangsstimme von Elisabeth Schuen plötzlich im Pop schwingt, wenn alle Musiker auf der Bühne sich ganz auf die Musik und nicht auf die Technik, Geschwätz oder ihren Anreisestress konzentrieren, wenn sanfte Geigentöne im Prasseln des Regens auf dem Zeltdach verklingen, dann erahnt man die Möglichkeiten dieser Band. Noch stehen Ganes wie drei Mädchen der höheren Töchternschule auf der Bühne: mit guter Ausbildung, brav und schüchtern. Am Liebsten würde man sie packen und wach schütteln, ihnen "Traut euch!" zurufen. Dabei haben sie die Sympathien des Publikums, das nach jedem kleinen Lichtblick bereitwillig Beifall klatschte und versuchte, die Stimmung mit zu tragen.

Erst nach einer Stunde fand die Band zu sich, war eine Präsenz im Jetzt der Lieder spürbar, wurde der Kontakt zum Publikum besser, klangen die Lieder direkter, eindringlicher. Ein kleiner Zauber wirkte, bevor die Band mit einem Schlaflied das Publikum bezeichnenderweise wieder hinaus in den Regen schickte.
killerkatze

Spieldauer: 90 Minuten

Ganes sind:
Elisabeth Schuen (Gesang, Geige)
Marlene Schuen (Gesang, Geige)
Maria Mohling (Gesang, Percussion)

spielten mit:
Nick Flade (Keyboard)
Sebastian Gieck (Gitarre)
Raffael Kreuzhauser (Bass, Beatbox)

Homepage von Ganes
ZMF Freiburg



11.06.2011 Waldsee Freiburg
Unaufregend, aber solide
Lisa Bassenge im Waldsee

An diesem Samstag vor Pfingsten stehen wohl einige potentielle Zuhörer bereits im Stau in die Ferien - nur knapp 70 Menschen ohne Kinder im Schulferienalter haben den Weg ins "so schöne Haus am Waldsee" (Zitat Lisa Bassenge) gefunden. Schade eigentlich, denn der Veranstalter Between the Beats verspricht handverlesene Musik und hatte dieses Versprechen zumindest beim Festival im September letzten Jahres auch gehalten.

Zurück zum heutigen Abend. Lisa Bassenge tourt mit ihrer neuen CD "Nur Fort", die im Januar veröffentlicht wurde, und vier Musikern durch Deutschland. Die Lieder der aktuellen CD sind meist ruhig, erzählen mit deutschen Texten vom Fernweh, der Sehnsucht, der Suche nach Geborgenheit und passen eher zu klirrend kaltem, klaren Winterwetter als in den (zugegeben im Moment kühlen) Freiburger Frühsommer.

Weißer Engel.
Weißer Engel.

Im ersten Set mischte die Band noch gelungen Eigenkompositionen mit zwei starken Coverversionen von "Overload" der Sugarbabes (im Bossa Stil sehr rhythmussicher) und "Junimond" von Rio Reiser. Das letztere ganz schlank, nur mit Flügel und Kontrabass, sehr feinfühlig und tonsicher gesungen, trifft ins Herz der Zuhörer, nimmt sie mit. Leider waren diese Momente während des Konzertes recht selten. Meist war an der Leistung der Musiker und an der Darbietung der Sängerin nichts auszusetzen, technisch hervorragend, aber leider etwas kühl und distanziert. Der Funke sprang nicht richtig über, auch im zweiten Set nicht, bei dem die Band ihre Fähigkeit, Lieder überraschend neu zu covern, unter Beweis stellte. Herausragend dabei "In dieser Stadt" und "17 Millimeter" von Hildegard Knef, sowie "Kosmetik" von Joachim Witt, bei denen Lisa Bassenge ihrer Stimme mehr Kraft gab, ihre Tonsicherheit in allen Lagen zeigen kann und ihr charakteristisches Näseln etwas zurück nahm. Insgesamt stehen der Band rhythmische, schnellere Lieder gut, dann kommt etwas Bewegung in die ansonsten recht ruhige Truppe, bei den langsamen Liedern fehlt die Spannung, fehlt Gefühl, da stehen die Lieder fast, ja, bleiben fast stehen.

Die Band zeigte an diesem Abend eine enorme Spannbreite an Stilrichtungen, leider versank davon viel in der soliden, ruhigen, unaufgeregten, unspektakulären, unglamourösen Bühnenpräsenz. Lisa Bassenge will nicht Mainstream sein, will nicht wie alle anderen. Mit ihrem lässigen Berliner Charme ist sie, wie sie ist. Ihre Stimme ist charakteristisch, entweder man mag sie, oder nicht. Sie gehört sicher zu den bedeutendsten deutschen und auf Deutsch singenden Jazzsängerinnnen, aber sie ist eben sehr speziell und den Glamour des Jazz gibt es bei ihr nicht (außer den Perlen, die an ihrem Kleid glitzerten).

Paul Kleber am Bass, Lisa Bassenge am Glockenspiel.
Paul Kleber am Bass, Lisa Bassenge am Glockenspiel.

Und trotzdem: manchmal, wenn Christoph Adams in die Tasten des Flügels griff, oder Christian Kögel seine Gitarrenseiten zum Klingen brachte, spürte man ein kleines bisschen vom großen Jazz im Haus am Waldsee.
killerkatze

Zuschauer: etwa 70
Spieldauer: 120 min (brutto, mit langer Pause)

Es spielten:
Lisa Bassenge (Gesang, Glockenspiel)
Paul Kleber (Kontrabass, E-Bass)
Christoph Adams (Flügel, Keyboard)
Christian Kögel (Gitarre)
Rainer Winch (Schlagzeug)

Homepage von Lisa Bassenge
Homepage von Between the Beats



26.05.2011, Pferderennbahn Aarau:
Surreal-romantisches Lehrstück
Element Of Crime feiern 20 Jahre KiFF

Selten war die Vorfreude auf ein Konzert so groß und langwährend, wie für den Auftritt von Element Of Crime, die anlässlich des 20-jährigen Jubiläums des Aarauer KiFFs auf der hiesigen Pferderennbahn ein Stelldichein gaben.
Ein Jubiläumskonzert mit Element Of Crime? Eine bemerkenswerte Tatsache in Anbetracht dessen, dass die Band jüngst ihr 25-jähriges Bühnenjubiläum explizit nicht gefeiert hat: "Das macht doch alles keinen Sinn", kommentierte Frontmann Sven Regener dieses Vorgehen vor ein paar Monaten in einer Talkshow.
Doch zurück zur Pferderennbahn. Pünktlich betreten wir die Location, Schweizer Lässigkeit allenthalben, von Gedränge keine Spur. Pünktlich? Zu Pünktlich, um nicht zu sagen zu früh - also noch mal raus aus der ansprechend gestalteten Partymeile, mit diversen Ess- und Getränkeständen, einer Lounge, in der DJs dazu einladen auf der Couch Platz zu nehmen und den ein oder anderen Cocktail zu schlürfen. Auf sich mit Gitarre selbst begleitenden Frauen haben wir schon beim Freiburger Konzert nicht wirklich Lust gehabt, ein Waldspaziergang ist dem durchaus vorzuziehen. Und der Wald liegt in nächster Nähe, wunderbar mit einem Rinnsaal, in dem sogar kleine Fische zu sehen sind, das Gezwitscher der Vögel ist beinahe unerträglich laut und nur ein Manko offenbart sich: Bänke, die zum Verweilen einladen, finden sich leider keine. Dafür gibt es abgesägte Baumstämme, die zwar keine Lehnen haben, aber dennoch zur Sitzgelegenheit taugen. Und mit dieser Begleitung sind die Umstände ohnehin egal, das Glück ist schier mit Händen greifbar. Ich will Deine Hand, ich will Deinen Mund, ich will Deinen Kopf, ich will Deine Zunge, ich will Deine Haare, ich will Deine Haut - und den ganzen Kummer will ich auch, singen Element Of Crime im Lied Das alles kommt mit, das wir an diesem Abend allerdings nicht zu Gehör bekommen. Es ist vom zweiten deutschsprachigen Album (Weißes Papier), das 1993 erschien und dem weitere sechs reguläre Alben und ein Soundtrack folgen sollten. Repertoire genug, um auf die vielen alten Sachen zu verzichten - mitunter leider.



Und da es bereits das dritte Konzert von Element Of Crime ist, dem wir in diesem Jahr beiwohnen - einmal Anfang Februar in Freiburg vor Ort, Mitte März live am Radio aus Wien - ist die Auswahl der Lieder keine wirkliche Überraschung, und doch hat sich im Vergleich zum Freiburg-Konzert einiges getan. Man ist nicht mehr so fixiert auf die beiden ersten deutschsprachigen Alben, deren Texte man seit Jahren in- und auswendig kennt, auch die neueren Sachen finden zunehmend Gefallen. Sensationell surreal-romantisch immer noch die Texte, wie verbindet man Monatskarte, Spargelkönig und eine Liebeserklärung in einem Song? Bitteschön: [...] Und Deine Hoffnung auf die Wahl zur Spargelkönigin ist hin, wer zwanzigmal dabei wahr, darf aus Altersgründen nicht mehr kandidieren, ich muss das wissen, weil ich schon seit 20 Jahren Ex-Spargelkönig bin. [...] Wer die Monatskarte hat, sollte besser nicht am Monatsanfang sterben [...] Komm mit mir woanders hin, ich weiß noch eine Weg, den kann man nicht alleine gehen und ich hab mir überlegt; dass alles was ab jetzt geschieht, mich nicht mehr interessiert, wenn Du darin nicht vorkommst. Bitte bleib bei mir! Womit dann auch einstweilen alles gesagt ist.
Neben uns steht eine Tussi (zwischen 18 und 30, da schieden sich die Geister in der Einschätzung) die ein bemerkenswertes Tattoo auf dem Schulterblatt hat: "papa&ich" war da zu lesen und vermutlich war sie doch erst 18 und hatte für das Tattoo von Papi ein iPhone geschenkt bekommen, dass sie auch stolz präsentierte. Kaum geht man beim vierten Stück "Immer unter Strom" einmal ein Getränk holen - und zahlt die fälligen 6,50 mit 51,50 und erntet Unverständnis von der Servicekraft, was wohl daran liegt, dass es in der Schweiz eben keine 5er-Scheine gibt - ist der Platz neben seinem Herz auch schon von der Tussi belegt. Doch zum Glück ist das Gedränge nicht so groß, dass man nicht doch wieder nah genug aufrücken konnte.



Nach einer guten Stunde muss man konstatieren, dass Regeners Frisur zunehmend derangiert ist, wohl weil zwischen all den melancholischen und romantischen Liedern auch mal gerockt wird. Und Regener bleibt sich treu, seine Ansagen, respektive Aussagen zwischen den Stücken beschränken sich weitgehend auf "Vielen Dank" und "Romantik", doch das Dylan-Cover It's all over now, baby blue verleitet ihn dann doch zu der Behauptung, dass jetzt ein Lied komme, das "extra fürs KiFF geschrieben" wurde. Eine verwegene Aussage über ein Stück das 1965 erschien, angesichts des (erst) 20-jährigen Bestehens des Kulturvereins.
Es war das einzige Konzert von Element Of Crime im Zuge der aktuellen Tour in der Schweiz. Eine bessere Auswahl hätte das KiFF nicht treffen können, in Anbetracht dessen, dass sich der Nonprofit-Verein, der in einer ehemaligen Futterfabrik Kulturveranstaltungen organisiert, als Generationen übergreifendes Projekt versteht. Schaute man sich beim Konzert von Element Of Crime um, war das auch ein Generationen übergreifendes Konzert.
jh

Spieldauer: 110 Minuten

KiFF Aarau
Homepage von Element Of Crime
Element Of Crime am 26.06.2005 in Interlaken
Element Of Crime am 06.02.2011 in Freiburg



14.04.2011, Waldsee Freiburg:
Come to where the music is
Lagerfeuerromantik mit The Lloyd Cole Small Ensemble

Der Singer/Songwriter Lloyd Cole sieht auf manchen Fotos George Clooney ein klein wenig ähnlich - charmant ist der Brite im Allgemeinen sowieso, gerne manchmal auch verschroben. Wie er da so unaufgeregt auf der Bühne im Waldsee steht, kommt sympathisch noch dazu. Und doch befinden sich unter den etwa hundert Menschen, die am Donnerstagabend im Waldsee der Gitarrenmusik lauschen wollten, recht wenig Frauen. Dafür handelten Coles Lieder von ihnen, der Liebe, der Freiheit, der Jugend - Geschichten, die so auch gerne am Lagerfeuer unterm Sternenhimmel erzählt werden können. Vielleicht ja deshalb die vielen einsamen Cowboys. Auf der Bühne steht Lloyd Cole nicht allein - sein jüngerer, ambitionierter, frech Mandoline spielender Begleiter links von ihm freut sich sichtlich über schnelle Ton- und rhythmischen Akkordfolgen, rechts auf der Bühne steht sein (so kommt es einem vor) langjähriger Weggefährte, der für die solide Basis zuständig ist und ganz in seinem Gitarren- und Banjospiel aufgeht. Ab und an huscht ein Grinsen über sein Gesicht, später wird dieses Grinsen zu einem Lachen, aber immer nur über und mit Lloyd Cole, niemals für das Publikum. The Lloyd Cole Small Ensemble ist eine eingeschworene Truppe.

Lonely Cowboy.
Lonely Cowboy.

Die meisten Lieder des Konzertes finden sich auf Lloyd Coles aktuellem Album Broken Records. Und obwohl böse Zungen vor dem Konzert behaupteten, dass diese Lieder ohne großartige Arrangements nicht tragen werden, bewiesen die drei Musiker an diesem Abend das Gegenteil. Drei Gitarren oder verschiedene Gitarren-Banjo-Mandoline-Konstellationen zeigten ein großartiges Zusammenspiel, erzeugten einen wunderbaren Klangteppich, über den Lloyd Coles warme, weiche Stimme direkt unter die Haut ging. Kleine Fehler - unsaubere Töne, fehlendes Volumen, und andere kleinere Unsicherheiten - vergab man gern. Zweifel blieben, ob das nicht vielleicht ein wenig dazugehörte, jedenfalls störten diese kleinen Verfehlungen nicht. Dauerhaft rebellisch war die Gitarre des Sängers, die nach jedem Lied neu gestimmt wurde. Lloyd Cole nutzte diese kleinen Pausen zur Kommunikation von wenigen Wörtern, oder auch nur um mitzuteilen, dass ihn das Stimmen noch mehr nervt als das Publikum: "I tune because I care". Die Stimmung während der Lieder war umso besser, die Stimmung im Publikum entspannt und gemütlich. Während zwei Sets mit jeweils zehn Liedern plus zwei Zugaben zeigten die drei Musiker bei fließendem Folk, Walzertakten und Countryklängen ihr Können. Schloss man die Augen, konnte man die Geschichten, die Lloyd Cole so bildhaft erzählte, vor sich sehen. Kleine magische Momente, in denen Lloyd Cole`s sanfte, sonore Stimme die Zuhörer einfing und sie in eine warme, weiche Decke hüllte.
killerkatze

Zuschauer: ca. 100
Spieldauer: 140 Minuten (brutto, mit Pause)

Homepage von Lloyd Cole
Waldsee Freiburg
Sound Go Round



25.03.2011, Waldsee Freiburg:
Achtung! Krötenwanderung!
Anajo im Waldsee - Konzertabend mit Tücken

"Spiel mal noch was, der Schlagzeuger fehlt...", bemerken die beiden Gitarren und der Bass, als sie bereits auf der Bühne stehen. Wäre doch zu schade gewesen, hätte das Publikum im Waldsee auf die Beats und den Gesang des Schlagzeuges der Freiburger Band "The Enshins" verzichten müssen… Also kam die Musik auch um 21:30 Uhr wieder von der Konserve. Wo war der Schlagzeuger? Vielleicht hatte er sich den fleißigen Krötensammlern angeschlossen, die draußen vor dem Waldsee ihre Eimer füllten, vielleicht hatte er auch einfach nur den Sternenhimmel in der lauen Frühlingsnacht beobachtet, wir wissen es nicht.

Daniel von The Enshins: ''Jaha, bin ja jetzt da...''
Daniel von The Enshins: "Jaha, bin ja jetzt da..."

Kurze Zeit später jedoch stieß er zu seinen bereits wartenden Kollegen auf der Bühne und es konnte losgehen. Der Bass zerschmetterte fast die Boxen, die E-Gitarren jaulten dazu, der Indie-Rock der jungen Band erschlug das Publikum zu Beginn. Ist ja nicht verkehrt, was die Jungs da machen, nur laut ist nicht gleich gut. Dabei überzeugen gerade die Melodielinien und die ruhigeren Passagen zwischendrin - gespickt mit ordentlich Rock'n'Roll. Nach 40 Minuten hatten "The Enshins" sich frei gespielt, konnte Klang entstehen, trieb der Bass, drückte das Schlagzeug, und endlich bewegte sich das Publikum dazu. Geht doch. Und Jungs, das mit dem zweiten Album wird vielleicht auch noch was ("Eigentlich sollte es ja fertig sein, wir hatten Stromausfall im Studio, passt irgendwie zu uns."). Tja, die Kröte steckt manchmal im Detail.

Auch zwanzig Minuten später waren die Kröten noch unterwegs, als mitten im Intro der Sänger und Gitarrist der Band Anajo noch mal Licht auf der Bühne forderte, Gelbes Licht nur in Liedpausen: Oliver Gottwald.irgendwas mit dem Stromstecker stimme nicht. Intro futsch, Spannung weg, los geht's mit Meine Wege aus dem neuen Album Drei. Vielleicht lag's an der doch schon fortgeschrittenen Uhrzeit, an der Warterei zwischendrin, an der sehr friedlichen Atmosphäre, den kuscheligen Paaren (Frauen mit Männern, Frauen mit Frauen, Männer mit Männern und die Beste-Freundinnen-Fraktion), dem Bühnenlicht, das zwischen gedämpftem Rot und Blau oszillierte - richtig gerockt wurde im Publikum erstmal nicht. Die Songs des neuen Albums waren dem Publikum scheinbar auch unbekannt, dabei konnte man sich bei Schattenkabinett über die Trivialität der Politik freuen (am Sonntag ist Landtagswahl!), sich beim poppig-rhythmischen Schade um die schöne Fassade seine eigenen Gedanken machen, um dann bei Kleine Lügen das Fazit zu ziehen.
Die Lieder von den alten Alben (allen voran Honigmelone, Ich hol Dich hier raus) kamen weitaus besser an, da wurde dann schon mal getanzt und mitgesungen. Abwechslung in den "Indie-Pop und Bubblegum-Rock mit Akkordgeschrammel" (laut.de) Harmonika sieht Rot.brachte das Keyboard und die Harmonika des Gasts Albrecht Schwader, der mit großen Orgeleinlagen (Meine Wege) die elektronischen Spielereien früherer Lieder ersetzte. Auch wenn die Monitorbox des oberen Keyboards dauerhaft zu laut war, und sich das, auch nach mehreren Hinweisen, nicht beheben ließ (Achtung Kröte!), fügten sich die Keyboard- und Harmonikatöne gut in den Gesamtklang ein. Anajo hatten Spaß auf der Bühne, erzählten von der Natur, die sie im Waldsee schon genießen konnten, den Kröten, die sie gesehen haben (zwei! Huckepack! bei der Paarung!) und vermittelten mit den naiven, manchmal banalen, manchmal skurrilen Songtexten eine beruhigende Leichtigkeit. Es muss nicht immer alles kompliziert, angestrengt und besonders einfallsreich sein. Weniger ist tatsächlich manchmal mehr, wie es auch in Blaue Stunde heißt. Zum Schluss wurde doch noch richtig mitgegangen - zuerst bei Mädchenmusik, das mit treibenden Beats vom Schlagzeug und kräftigen Gitarrenriffs so richtig Laune macht, bei dem sich Anajo selbstironisch geben und ihren Kritikern freundlich eine Abfuhr erteilen, und natürlich bei Monika Tanzband, der vom Publikum heiß ersehnten Zugabe.

Spät ging das Konzert zu Ende. Zwischendurch waren Anajo ja wirklich lustig hieß es im Publikum. Zwischendurch waren das Konzert auch Punk und Rock'n'Roll, dann ging die Post ab. Ab und an dümpelte der Sound im typischen Anajo Stil wieder etwas gleich bleibend vor sich hin. Müde, aber nicht unzufrieden, ließen wir die Kröten am Waldsee hinter uns und machten uns auf den Heimweg, vorbei an unterm Sternenhimmel sanft nickenden Osterglocken.
killerkatze

Spieldauer
The Enshins: 50 Minuten
Anajo: 95 Minuten

The Enshins sind:
Daniel Barth (Schlagzeug, Gesang)
Daniel Gorzalka (Bass, Gesang)
Benjamin Knobel (Gitarre)
Christian Schätzle (Gitarre)

Anajo sind:
Oliver Gottwald (Gesang, Gitarre)
Michael Schmidt (Bass)
Ingolf Nössner (Schlagzeug)
Albrecht Schwader (Keyboard und Harmonika)


Waldsee Freiburg



18.03.2011, Jazzhaus Freiburg:
Wirbelwind des Jazz
Trombone Shorty & Orleans Avenue fegen durchs Jazzhaus

Hurrican Season - die Fenster weit auf, der Wind bläst mir die Haare ins Gesicht, flirrende Hitze über warmem Asphalt, das kleine, rote Auto flitzt durch eine sonnenverwöhnte, französische Landschaft… Kurz nach Ostern 2010 auf dem Weg von Lyon nach Freiburg war der Sommer da, das Leben bestand aus diesen paar ersten Takten, dem laut mitgesungenen "Hey", dem eingängigen, treibenden Beat, den mitreißenden Tönen von Trombone Shortys Album Backatown. Gerade im FNAC in Lyon entdeckt und schon verliebt.

September in Berlin. Der Sommer klingt aus, ab und zu blitzt er noch durch die schon gelb werdenden Blätter. Trombone Shorty war in Vergessenheit geraten, die CD aus meinem Leben verschwunden, bis mir aus einem Berliner Radio plötzlich ein "Hey" entgegenschallt. Lauter! Die Melodie hatte sich eingebrannt, die Wärme wieder auf der Haut - wie hieß der noch gleich? Eine kurze Internetrecherche bringt den Namen wieder zurück. Jetzt war die Nachricht vom Wirbelwind also bis in die Hauptstadt vorgedrungen (CD-release in Deutschland). Trombone Shorty war im Herbst zwar auch live in Deutschland unterwegs, allerdings nicht in Freiburg. Aber jetzt, auf seinem kleinen Zwischenstopp in Europa und mit nur ein paar Konzerten in Deutschland, kommt der Posaunisten, Sänger und coole Muskelmann ins Jazzhaus. Fast ein Jahr nach einem Glücksgriff - nichts wie hin! Vielleicht bringt er ja auch dieses Mal frischen Sommerwind mit?

So cool...
So cool...

Kopfschüttelnd schau ich mich nach dem Konzert um und sehe glückliche, ungläubige Gesichter. Fassungslos über den Sturm der da gerade über uns hinweg gefegt ist. Trombone Shorty hinterlässt allerdings keine Verwüstung, sondern grenzenloses Staunen. Seine Musik so kraftvoll, leicht und - diese Präzision! Die vier Mitglieder seiner Band (den Orleans Avenue) stehen in verwaschenen Jeans und T-Shirt, lässig, jugendlich, eher wie eine Schulband auf der Bühne. Umso erstaunlicher, was jeder dieser jungen Musiker mit seinem Instrument völlig unprätentiös und scheinbar mühelos vollbringt: der Gittarist Pete Murano lässt die Finger tanzen, der Schlagzeuger nutzt selbst die akustische Plexiglasdämmung noch als Rhythmusinstrument, der Bassist Michael Ballard mit Sonnenbrille spielt Bass zum Niederknien, so unendlich cool, Tim McFatter entlockt seinem Tenorsax Töne, Folgen, Höhen, und verzaubert bei den Soli das Publikum. Mittendrin steht ein 25-jähriger, gut aussehender, Spaß habender, lockerer Trombone Shorty, dirigiert seine Band mit großen Gesten oder kleinem Fingerzeig, dirigiert das Publikum mit seinem Charme, und bringt das Jazzhaus (hier zitiere ich einmal aus dem Jazzhaus-Magazin) "an den Siedepunkt". Treffender lässt sich das exstatische Schreien, Klatschen, Jubeln, Lachen auf dem Höhepunkt des Konzerts nicht erklären.

Shorty mit Posaune.
Shorty mit Posaune.

Was macht diese Musik aus? Wie kommt es, dass ein so gemischtes Publikum (von ganz jung bis jung geblieben und viele Männer mit dicken, schwarzen Brillengestellen) einheitlich (!) den Takt mitklatschen und dabei noch schön und fast richtig mitsingen können? Das Stichwort heißt "Supafunkrock" und bezeichnet die kraftvolle Mischung aus Funk, Rock, Rhythm'n'Blues und Jazz, den Trombone Shorty von New Orleans aus mit Posaune und Trompete in die Welt schmettert. Dazu kommt ein bisschen Samba hier, ein wenig Brass Band Marschmusik da. Viel Talent, viel Übung und eine gute Ausbildung bilden die Basis für das, was der sympathische Showmaster aus Posaune und Trompete rausholt und mit Gesang abrundet. Dazu kommt eine Brise Unbeschwertheit und Spaß daran, ständig Neues auszuprobieren. So klingen die Melodien der Lieder auf der CD zwar durch, sind erkennbar, mitsingbar, allerdings auch wieder überraschend anders, erstaunlich neu. Zusätzlich variieren die Musiker angenehm die Dynamik und das Klangbild, von ohrenbetäubend, mitreißend laut bis sanft, sparsam ist alles dabei. Der Sound ist außergewöhnlich gut und (zumindest mittig) klar ausgesteuert und lässt somit auch die Differenzierung der leisen Töne zu.
Jetzt blasen wir sie alle weg! Bestand der erste Teil des Konzerts hauptsächlich aus den Instrumentalstücken des Albums, beginnt im zweiten Teil die Party mit On the Sunny Side of the Street - und das Publikum liegt Trombone Shorty zu Füßen. Selten hat ein Trompeter, dessen Solo aus einem einzigen Ton besteht, so viel unglaubliches Erstaunen und Beifall geerntet: Trombone Shorty hält den Ton gefühlte drei Minuten lang - durchgängig mit Zirkularatmung - um im nächsten Refrain einfach so weiter zu singen. Mit viel Funk, ein bisschen Moonwalk, viel Energie und amerikanischem Selbstbewusstsein heizt er die Stimmung noch mal richtig an, um zum Abschluss das Publikum bei One Night Only und Something Beautiful seiner CD Backatown durch Mitsingen wieder etwas abzukühlen. Als Zugabe wird Instrumentenroulette gespielt - Trombone Shorty wechselt ans Schlagzeug, der Schlagzeuger spielt Gitarre, der Gitarrist Tenorsax, dessen Besitzer wird Bassist und der coole Basser spielt Trompete. Klingt passabel, macht Laune. Nach fanatischem Geklatsche wird die dritte Zugabe (jeder Musiker wieder an seinem Instrument) zum Rausschmeißer: When The Saints Go Marching In gespickt mit kurzen Blues-Brother-Einlagen und einem gekonnten Louis-Armstrong-Imitat brachte die Menge an die Belastungsgrenze.

Der Wirbelwind zieht weiter, hinterlässt Staunen, Leere, Endorphine. Sommer war auch. So hot. So cool. So easy.
killerkatze

Zuschauer: 400 (ausverkauft)
Spieldauer: 110 Minuten

Trombone Shorty & Orleans Avenue sind:
Troy Andrews ("Trombone Shorty", Posaune, Trompete, Gesang)
Tim McFatter (Tenorsax)
Pete Murano (Gitarre)
Michael Ballard (Bass)
Joey Peebles (Schlagzeug)

Homepage von Trombone Shorty
Jazzhaus Freiburg



04.02.2011, Burghof Lörrach:
"Ethik? Wieso denn Ethik?"
Frank Lüdecke - "Die Kunst des Nehmens"

Was veranlasst einen Veranstalter den Kabarettisten Frank Lüdecke am Fasnachtsfreitag in den Lörracher Burghof einzuladen? Wer kommt da? Sind die Narren nicht närrisch und wenn sie denn zwischen Hemdgluncker und den großen Bällen und Umzügen tatsächlich einmal einen Abend frei haben, bereiten die sich doch seelisch eher mal auf selbige vor, als sich hochanspruchsvolles Kabarett anzuhören?
So närrisch scheint das Lörracher Publikum nicht zu sein, der Burghof war gut gefüllt, 'Hästräger' gibt es keine, und als Autor ist man froh, dass man nach langer Zeit den Altersdurchschnitt der BesucherInnen wieder mal senken kann.
Auch Lüdecke hat so seine Erfahrungen mit Narren und eröffnet mit einem Schwank aus seinem Leben, als er in der fünften Jahreszeit ("ich kenn mich mit dieser Sportart nicht aus") einmal in Mainz gespielt hat, seien die ersten beiden Reihen mit so komischen Leuten in Uniform besetzt gewesen, erzählt er, die hatten einen Riesenspaß - der allerdings nichts mit seinem Programm zu tun hatte.
Kabarett also, nicht gerade die einfachste Variante eine beinahe einjährige Schreibblockade zu überwinden. Denn was schreibt man über einen Kabarettisten, der schlicht gut ist? Soll man seinen Text mit Zitaten spicken und so der geneigten Leserin und dem geneigten Leser Appetit auf mehr machen? Oder gibt man einfach den Marschbefehl aus: Hingehen!
Als staatlich anerkannter Kriegsdienstverweigerer nach Art. 12 a GG hat man ja mit Marschbefehlen nichts am Hut hat und auch Lüdecke macht nur eine ganz feinsinnige Anmerkung zum "Rücktritt des Jahres": "Ralf Köhler ist nicht mehr Trainer des SSV Homburg-Nümbrecht 1919 - wo immer das auch sein mag." (Um dem bildungspolitischen Auftrag nachzukommen haben wir recherchiert: ein kleines 17.000-Seelen-Kaff im Dreieck Köln-Bonn-Siegen.)

Frank Lüdecke

Geradezu kabarettistische Klasse hatte tags zuvor auch die Stadt Freiburg, die den Rathausbalkon, auf dem die Machtübernahme der Narren zelebriert wurde (mit extrem flachen Witzen, aber Fasnacht ist ja auch nicht lustig, sondern eine ernste Angelegenheit) mit einer Werbung für den "Internationalen Frauentag" geschmückt hatte.
Wobei auch Lüdecke nicht davor zurückschreckt, der Political Correctness abzuschwören, in dem er in einem längeren Part nach der Pause sich über die Wahlenthaltung von 30 Prozent der Bevölkerung auslässt und anmerkt, "seit 1918 dürfen alle wählen - Frauen - und 15 Jahre später war Hitler an der Macht." Trocken, ohne auch nur im geringsten die Miene zu verziehen, und mit einer sehr langen Pause, bis das Publikum in einer Art Übersprungshandlung anfängt zu lachen.

Die Gründung einer Kommission für Ethik in der Wirtschaft vergleicht Lüdecke mit dem bekennenden Vegetarier in der Metzgerinnung - und tritt damit beim Schreiber dieser Zeilen eine Assoziationskette los, die ihresgleichen sucht. Von Helge Schneiders 'Wurstfachverkäuferin', unter denen es tatsächlich Vegetarier geben soll, bis zu der Gegenfrage eines Bankers auf die Frage der Zeitschrift Finanztest nach ethischen Geldanlagen bei Riester-Verträgen: "Ethik? Wieso denn Ethik?".
''Drei Millionen investieren um 20 Minuten schneller von Stuttgart aus in Ulm zu sein. Das sind zwei, drei Abstraktionsebenen zu viel. Der Wähler fragt sich: Was soll ich in Ulm?''Der Banker war wohl genauso verstört von der Frage, wie der gemeine (!) FDP-Wähler von der Forderung des Außenministers Westerwelle, den Aldi-Brüdern die 27 Milliarden, die sie im Lauf des Lebens verdient haben wegzunehmen, verstört sein dürfte. Wer will eigentlich mit Gesetzen auf die Finanzkrise ("ich freue mich schon auf die nächste") reagieren? "Gesetze? Das ist Planwirtschaft. Sollen denn die Toten an der Mauer alle umsonst gewesen sein?"
Apropos Mauer: Als der Berliner Lüdecke Besuch aus NRW erwartete seien diese eine Station zu früh ausgestiegen und hätten nur Schmutz und schlecht gekleidete Leute gesehen - "Spandau?" - "Magdeburg!" "Die ganzen Vorurteile hängen auch damit zusammen, dass die Ostler uns das Geld wegnehmen", wirft Lüdecke trocken in den Raum und zitiert seinen Vater, der für die 180 Billionen lieber das Baltikum zurückgekauft hätte. Aber: "Unter Schröder sind mehr Menschen weggegangen, als unter Ulbricht und Honecker zusammen."

Gegen Ende wird es geradezu albern. Nicht das Lüdecke das forcierte, qualitativ bleibt alles auf allerhöchstem Niveau, dennoch kommt der Schreiberling aus dem Kichern kaum mehr heraus (und mit ihm wohl der größte Teil der Zuschauerinnen und Zuschauer), obwohl er ja dereinst vom großen Wiglaf Droste gelernt hat, dass man als Chronist nicht in die Wirklichkeit eingreifen sollte. Vielleicht lag es auch daran, dass in den letzten Tagen um diese Uhrzeit auch schon viel gekichert wurde - ebenso auf hohem Niveau, wie bei Frank Lüdecke, der aber auch mal Klischees bedienen kann, wie in den Zugabeliedern. Eines davon handelt von der ausgesprochen schwachen Geburtenrate in Deutschland, die in Europa nur vom Vatikan unterboten wird. Unter dem Motto "Alle Räder stehen still, wenn keiner Liebe machen will" beschreibt er da das Aussterben einzelner Bundesländer in ferner Zukunft (Auf die Melodie von Zager And Evans' In The Year 2525: "5010 und Niedersachsen / gehört den Füchsen und den Dachsen / ein schwacher Trost: / Hannover war schon immer tot"). Beendet wird das Ganze mit dem legendären Herbert Zimmermann vom Band: "Aus, aus, das Spiel ist aus!" Auch daran werden sich einige gerne erinnern und wer nicht da war, sollte das nachholen!
jh

Spieldauer: 2 Stunden (netto)

Heimatseite von Frank Lüdecke
Burghof Lörrach
Lüdecke im Dorfgeschwätz am 9.3.2007



17.02.2011, Waldsee, Freiburg:
Sein Gig für Freiburg
Der Schwarzwälder Soulman Max Mutzke beim Heimspiel

Der Waldshuter Max Mutzke kommt auf seiner Tour in seiner, wie er es selber sagt, Geburtsstadt Freiburg vorbei und landet im Waldsee. Die Bühne beim dunklen See im dunklen Schwarzwald ist ihm, so erzählt er, von klein auf bekannt - war er doch zum Musikhören mit seinem Vater als Kind öfter hier. Heimspiel also.
Das Waldsee passt nicht nur zu Herrn Mutzke - es passt irgendwie auch zum Freiburger Akademikerpublikum. Der durchschnittliche Mutzke-Konzertbesucher in Freiburg ist zwischen 40 und 50 Jahre alt, mit Ehefrau unterwegs, hat eventuell eine Tochter dabei, die sich schon mal vorne an die Bühne stellt, während Daddy sich noch einen Schnitzelweck gönnt, um sich dann in gebührendem Abstand zur Tochter zu platzieren ("Papa, das ist peinlich!"). Väter machen so was eben. Währenddessen drängelt die Ehefrau nach vorne und stellt, darauf angesprochen, fest, dass "wir hier nicht im Kino sind". Ein zusätzlicher Blick über das Publikum im ausverkauften Waldsee lässt den Schluss zu, dass heute synchrones Mitwippen statt Mithüpfen angesagt ist.

Fängt das Publikum mit unglaublicher Stimme: Yakoto.Sehr schnell wird das genau so auch von Yakoto, der Sängerin der "afro-hanseatischen Kapelle" aus Hamburg, von der Bühne aus kommentiert. Dabei gelingt ihr das Kunststück, die Mutzke`sche Fangemeinde nach nur zwei ihrer rhythmischen, unter die Haut und in die Beine gehenden Liedern mit ihrer mal kräftigen, mal gefühlvollen Stimme in Bann zu schlagen. Gänsehautfeeling und gute Laune. Begeisterung kommt auf - wer war noch mal Max Mutzke? Die vom Publikum geforderte Zugabe wird von Yakoto dann trotzdem nicht gegeben - noch nicht, aber dazu später.

Die Zuhörer sind somit bereits bestens gelaunt, als sich Max Mutzke, erst allein, dann mit Band, ans Mikrofon stellt. Schnell wird klar, dass heute nicht nur sehr gute, solide Livemusik mit einer ausdrucksstarken Stimme auf die Bühne kommt, sondern auch die Show perfekt sein wird. Dem Showmaster Mutzke liegt das Publikum zu Füßen beim "Stars zum Anfassen" Konzert ("aber Finger weg!"). ''Unser'' Max mit viel Gefühl.Die Bühne sieht nicht nur aus wie ein Wohnzimmer, heute ist sie es auch. Goldene Bilderrahmen an der Bühnenwand und stimmige Beleuchtung runden den ohnehin guten Sound ab. Die Band spielt Lieder aus allen vier Alben, das Motto des Albums "HomeWorkSoul" wird wahrscheinlich auf der zweiwöchigen Tour nie mehr so gut passen, wie hier im Waldsee. Die Lieder der aktuellen CD werden nach dem ersten Akkord von der kleinen, jungendlichen Fangruppe ganz vorne an der Bühne erkannt und mit Gekreische begrüßt, die älteren Lieder begeistert und ausdauernd von allen mitgesungen. Ist Max Mutzkes Beschreibung einer eindeutig erotischen Szene im Lied "Schwarz auf Weiß" eigentlich jugendfrei?
Die Temperatur steigt nicht nur auf der Bühne und der Blick übers Publikum lässt, wie vermutet, viele Mitwipper und zu wenige Mithüpfer erkennen. Der Schwarzwälder Jung auf der Bühne gibt alles, der "Max steht hinter jedem Ton" wie es in "Du" treffend heißt. Seine Band steht auch hinter, meistens aber neben ihm, albern rum, haben Spaß daran, treiben den Beat ins Publikum, animieren zum Tanzen. Was auf den Tonträgern manchmal beliebiges Mainstreamgedudel ist, wird auf der Bühne zu richtig mitreißender, funkig-poppiger Musik. Absoluter Mittelpunkt unbestreitbar die soulige, raue und gleichzeitig sanfte Stimme von "unserem" Max. Spätestens bei "Bring on the sun" geht nicht nur durch sanftes, gelb-oranges Licht die Sonne im Saal auf und bei der Coverversion von "Sommerregen" der Fantastischen Vier ist der Sommer schon ganz nah. Da darf der Junge, nicht nur Sänger sondern auch passionierter Schlagzeuger, selbst mal den Beat auf dem Becken des Schlagzeugs hinter ihm Bassist verschmilzt mit Wohnzimmertapete… schlagen - mit dem Rücken zum Publikum. Ansonsten ist Max Mutzke der perfekte Gastgeber, Showman und Junge von Nebenan, nur manchmal, so scheint es, blitzt ein wenig Show-Gehabe seines ehemaligen Mentors Stefan Raab durch.

Schnell vergeht die Zeit an diesem Donnerstagabend im Wald am dunklen See - als Zugaben dürfen das Eurovision Song Contest Lied "Can´t wait until tonight" und natürlich auch "Marie" nicht fehlen. Als weiterer Höhepunkt kommt Yakoto zur letzten Zugabe auf die Bühne und singt mit Herrn Mutzke "Me and Mrs. Jones" im Duett. Wer Yakoto zu Beginn des Abends verpasst hat, wird es spätestens jetzt bereuen. Vielleicht sollten die beiden darüber nachdenken, öfter zusammen zu singen. Dieses Duett war jedenfalls die Sahne auf einer gelungenen, sehr professionellen, überraschend guten Schwarzwälder-Konzert-Torte.
killerkatze

Zuschauer: 450 (ausverkauft)

Spieldauer
Yakoto: 30 Minuten
Max Mutzke: 115 Minuten

Mit Max Mutzke spielten:
Justin Balk (Gitarre, Gesang)
Lennart Salomon (Gitarre)
Matthias Hornung (Keyboard)
Philip Morten Andernach (Bass)
Heiko Franz (Schlagzeug)

Heimatseite von Max Mutzke
Waldsee Freiburg



06.02.2011 Rothaus Arena, Freiburg:
Straßenbahnen im Dreivierteltakt
'Element of Crime' betrübt bis beschwingt in buntgeflecktem Betongrau

Dienstag:
Frau hat es schwer - ein Kollege, der wahrscheinlich ganz und gar alle Texte von 'Element of Crime' auswendig kennt, einen Konzertbericht schreiben könnte, ohne jemals auf diesem Konzert gewesen zu sein (es gab ja schon genug andere), die Geschichte der Band ohne mit der Wimper zu zucken zum Besten geben und dabei noch geschickt ein, zwei Zitate aus Sven Regeners Büchern einfließen lassen… Was bleibt mir da noch übrig?
Ich habe mich noch nicht satt gehört, nicht an den schwingenden Zirkusmusik-Melodien, den seltsamen Texten, der eigenwilligen Stimme. Mein Ohr entdeckt immer wieder neue Lieder, die Auswahl scheint schier unendlich, arbeitet man sich von heute bis damals durch. Also werde ich mich mal an einem Konzertbericht versuchen…

Sonntag - Konzertabend:
Wer baut eigentlich solche Hallen? Und warum werden diese für ein Konzert genutzt? Zumal der Charme von Sichtbeton doch sehr zu wünschen übrig lässt, ganz zu schweigen vom Schall, der ungehindert von der Rückwand über den Zuhörer herfällt… Wo ist hinten, wo vorne? Glücklicherweise hilft die Lichtanlage diese Frage zu klären, leuchten die bunten Lichter recht hübsch ins Publikum. Auch die bunten Stehtischwürfel fallen angenehm auf. Nach der ersten Bühnensichtung wird es mir noch kälter ums Herz. Der Fotopass ist weg. Es war keine gute Idee ihn, wie verlangt, auf die Hose zu kleben. Dort fühlte er sich anscheinend nicht wohl, ließ sich fallen und verband sich mit dem Boden. Glücklichweise, denn dort durfte ich ihn dann, ob er wollte oder nicht, wieder abkratzen.

Farbe im Betongrau.
Farbe im Betongrau.

Nachdem die gute Laune also wieder hergestellt war, beginnt Maike Rosa Vogel mit dem Vorprogramm. Auch sie ist bunt, zumindest sagt das der Regenbogenschriftzug ihres Namens auf der Bühne. Der bunte Vogel steht davor, singt deutsche Texte und wird von ihrer Gitarre begleitet. Eine schöne Stimme hat sie, nur ihre Texte sind manchmal etwas sperrig. Die Erwartungen an deutsche Texte sind vor einem 'Element of Crime'-Konzert nun mal sehr hoch…

Sprachfetischist bei der Arbeit.
Sprachfetischist bei der Arbeit.

Freitag:
Was bei Sven Regener so leicht scheint, bereitet mir Kopfschmerzen. Wie kann man seine Leser (in seinem Fall Hörer) so gezielt auf einen Gedanken steuern, dass die Schlussfolgerung, wenn auch absurd, absolut schlüssig erscheint? Bei ihm fängt das mit einem Kind auf einer Schaukel an, dann fliegt ein Schuh jenes Kindes auf ein dreckiges, braunes Auto am Straßenrand mit unbestimmbarem Alter und schon sind wir bei der Angebeteten ('Am Ende denk ich immer nur an dich'). Dann mal ran, auch die Doktorarbeit braucht Schlussfolgerungen…

Element of Crime. Was soll man nach 25 Jahren Bandgeschichte noch schreiben, was nicht schon einmal geschrieben wurde? Oder um es mit Svens Worten zu sagen: 'Über Musik reden macht immer nur alles schlimmer'. Ein wenig Ehrfurcht ist dabei, ein gutes Gefühl, dass die vier etwas grau gewordenen Herren immer noch miteinander Musik machen, eine musikalische Konstanz in ihren Liedern. Bei mittlerweile 14 Alben (!) fällt es sicher nicht leicht, ein Programm zusammen zu stellen. Da das alle Altersschichten umfassende Publikum sowieso nie zufrieden zu stellen ist (wie würde man alle persönlichen Emotionen, die mit jedem Lied verbunden sind, auch in ein Konzert packen wollen?), widmet sich die aktuelle Tour dem letzten Album 'Immer da wo Du bist bin ich nie'. Also werden alle Lieder dieses Albums gespielt. Manch eines wird auf der Bühne besser als auf der CD: 'Kaffee und Karin' fängt so schnell an, dass Sven fasst von der Bühne geschleudert wird, beruhigt sich dann aber wieder. So viel Elan macht Spaß. Das Zusammenspiel von Trompete und Geige (auch bei 'Euro und Markstück') ist wunderschön. Die Geigentöne des Gastmusikers Christian Komorowski bohren sich ins Herz, verleihen der Melancholie eine direkte, noch schmerzhaftere Komponente. Und die Texte, vor allem der älteren Lieder, Worte, die durch einen hindurch strömen, einen mit einer Mischung aus Glück und Traurigkeit zurück lassen. Diese Texte, die skurril, absurd, zeitlos, niemals kitschig dafür immer romantisch sind. Vielleicht gerade durch ihre verwirrende Schönheit berühren sie einen, sind wie die Wirklichkeit, niemals klar und eindeutig, immer suchend (nach was auch immer) und vergessen wollend (was sich nicht so leicht vergessen lässt).

Da eine ausschließlich traurig-melancholische Stimmung jedoch jedes Konzert umbringen würde, werden fröhliche Ansagen zu heiter-ironischen Liedern eingestreut. Der Barde und Sprachfetischist Regener kann dann auch wenig lyrisch: 'Manchmal werden wir gefragt von was unsere Lieder handeln. Messerscharfe Geigentöne.Von Straßenbahnen…!' und spielt darauf an, dass Straßenbahnen tatsächlich immer wieder auftauchen ('Straßenbahn des Todes', 'Wenn der Morgen graut', 'Immer da wo du bist bin ich nie',…). Somit ist die Stimmung auf der Bühne heiter, David spielt wie immer gemächlich Seniorenbass, Sven zischt sein Bier und freut sich mit Richard, dem Schlagzeuger, reißt seine Arme in die Luft, das Publikum jubelt. Durch die Feierlaune der Fans wird leider nicht immer die Spannung mitgetragen, gehen die unglaublich sanften Trompetentöne ('Don`t you smile') unter. Gequatscht wird viel, ein wenig mitgewippt, mitgesungen und als nach 75 Minuten das erste Mal Schluss ist, endlos geklatscht. So lange, bis 'Element of Crime' zur zweiten Hälfte ihres bis dahin pausenlosen Konzerts, den Zugaben, wieder auf die Bühne kommen. Die Pflicht war getan, jetzt konnte mit den alten Liedern die Kür beginnen. Noch drei Mal treten sie auf die Bühne, lassen sich feiern, haben sichtlich Spaß daran, spielen 'Weißes Papier', 'Delmenhorst', 'Blaulicht und Zwielicht' und das Lindenberg Cover 'Vakuum', da es 'ja asozial ist den ganzen Abend nur die eigenen Lieder zu spielen'. Mit 'Alten Resten eine Chance' geht ein Element of Crime Konzert mit einem Funkeln in den Augen und einem schelmischen Lächeln zu Ende. Spätestens bei 'I`ll warm you up' wurde es auch mir im Betongrau warm ums Herz.
killerkatze

Zuschauer: ca. 1400
Spieldauer:
Maike Rosa Vogel: 25 Minuten
Element of Crime: 110 Minuten

Element of Crime sind:
Sven Regener (Gesang, Gitarre, Trompete)
Jakob Ilja (Gitarre)
Richard Pappig (Schlagzeug)
David Young (Bass, Seniorenheadbanging)
Christian Komorowski (Violine)


Heimatseite von Element Of Crime



28.01.2011, Jazzhaus Freiburg:
Menschen müssen tanzen
Johnossi lässt das Jazzhaus beben

Ganz dunkel wird es im Jazzhaus nie. Die bläuliche Beleuchtung der Bar zu beiden Seiten des Raumes zieht die Menschen an, vertreibt die Dunkelheit. Da hilft auch kein noch so langes Intro im (Bühnen-) Black - die Spannung steigert sich einfach nicht so richtig, zumal das Intro von Johnossi aus dem Geräusch einer nicht ganz rund laufenden Waschmaschine besteht (oder war´s das Geräusch der Brandung auf Kieselstrand?). Macht aber nichts. Die Vorfreude und Anspannung auf das Konzert von Johnossi war sowieso spürbar, auch während dem Auftritt der Vorband Britta Persson. Kein schlechter Pop-Rock, der da mit auf Tour ist, gefällig, Britta Persson: Pop-Rock auf Schwedisch.was die junge, zierliche, jungenhafte Frau an der Gitarre mit ihrem muskelbepackten Schlagzeuger da macht, aber eben nur Hintergrund für die Schlange an der Garderobe und die Gespräche beim ersten Feierabendbier. Und weiter geht das Warten auf die Hauptband - obwohl der Bühnenumbau dank tätowiertem Bühnengehilfen, der alle Akustikgitarren von Sänger John Engelbert stimmen und anspielen durfte, und auch mal auf den Drums des Schlagzeugers Oskar "Ossi" Bonde rumschlug, etwas Abwechslung bot. Überhaupt zeugte der extra Soundcheck, die zusätzliche Lichtanlage, das Absperrgitter und Taschenkontrollen vor dem Eingang von sehr viel Professionalität im kleinen, feinen und seit Tagen ausverkauften Jazzhaus.

John...
John...

Um zwanzig vor neun an diesem Freitagabend ist es dann soweit. Mit Blitzlichtgewitter (vom Stroboskop), satten Gitarrentönen und durchdringendem Rhythmus kommen Johnossi auf die Bühne, versprühen von Anfang an eine die Fans überwältigende Energie. Es folgen 75 Minuten durchgängiges Abfeiern ohne Unterbrechungen, denn die ohnehin dünn gesäten Ansagen werden in die Lieder eingebaut. Selbst wenn die Gitarre samt Verkabelung gewechselt wird, hält Ossi die Stellung, spielt Schlagzeugsoli zur nahtlosen Überleitung auf das nächste Lied. Die Setlist führt quer durch alle drei Alben der schwedischen Band. Die älteren Songs mit treibendem Beat (Party with my Pain, 18 Karat Gold) werden von den Fans gerne mitgesungen, mitgehüpft, sogar stagediving (ohne stage) wird praktiziert (und sofort von der Sicherheit auf der Bühne argwöhnisch beäugt). Zwischendurch die eher weichen, sehr melodiösen, etwas düsteren Lieder des neueren Albums 'Mavericks'. Zu gucken gibt es bei den beiden Schweden nicht viel, zu hören umso mehr. Ihr Sound besticht durch seine Ehrlichkeit, ohne viel Effekthascherei, einfach, hart und dreckig kommt ihr Pop-Punk daher, geht direkt in die Knochen. Da ist es egal, dass die zum Teil bissigen, kraftvoll gesungenen Texte in der Ekstase untergehen - die Fans können sie eh auswendig. Das perfekt eingespielte Team John+Ossi gibt so viel von ihrem Energiekonzentrat an die Menge weiter, dass es süchtig machen kann. Völlig in ihrer Musik aufgehend, brauchen die beiden, so scheint es, nichts weiter, vielleicht noch nicht einmal die jubelnden Fans.

...Ossi
...Ossi

Plötzlich war die das Jazzhaus überflutende Energie wieder weg. Nachdem das Partylied 'Man Must Dance' die Stimmung so richtig angeheizt hatte, der Suppentopf Jazzhaus mit dem jungen Gemüse so richtig brodelte, verschwitzte Körper auf biernassem Boden tanzten, war das Konzert vorbei. Zwei, wie vom Publikum gewünschte, schnelle Zugaben waren den Fans noch gegönnt, anschließend wurde schon fast die Bühne abgebaut, das Jazzhaus vorbereitet für die Queer-Generation und ob des kurzen Konzertes etwas ratlose aber glückliche Gesichter zurückgelassen. Johnossi in Freiburg - man must dance. Hätten wir gerne noch die ganze Nacht gemacht.
killerkatze

Zuschauer: ausverkauft
Britta Persson: 30 min
Johnossi: 75 min

Johnossi sind:
John Engelbert (Gesang, Akustikgitarre)
Oskar "Ossi" Bonde (Schlagzeug)

Homepage von Johnossi



 
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