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  Kultur * 2005

Konzertberichte, Plattenkritiken & Buchbesprechungen


16.11.2005: Mañana / a-ha, Basel, AVO-Session
19.11.2005: Stereototal., Freiburg, Jazzhaus
08.11.2005: Wise Guys, Basel, Stadtcasino
03.11.2005: Vaya Con Dios, Basel, AVO-Session
28.10.2005: Jarabe de Palo, Freiburg, Jazzhaus
23.10.2005: Siggi Zimmerschied, Lörrach, Burghof
16.10.2005: SC Freiburg vs. 1. FC Saarbrücken, Freiburg, Dreisamstadion
15.10.2005: Julius H. Barkas: Pyramide der Wahrheit
06.10.2005: Ben Becker liest Klaus Kinski, Lörrach, Burghof
13.08.2005: Patent Ochsner, Basel, Kunsti
22./23./24.07.2005: Calexico / Gentleman / Faithless, Lörrach, Stimmen
14.07.2005: Seeed, Freiburg, ZMF
26.06.2005: Element Of Crime, Interlaken, Greenfield-Festival
29.04.2005: Wir sind Helden, Zürich, X-Tra
25.04.2005: Silbermond, Freiburg, Stadthalle

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16.11.2005:
Ein Abend bei der AVO-Session
Mitwirkende vor Ort: Mañana, a-ha
Im Herzen dabei: Schweizer Fußballnationalmannschaft

Einerseits freute ich mich auf das bevorstehende Konzert, andererseits bedauerte ich es sehr, das alles entscheidende Spiel der Schweizer Fußball-Nationalmannschaft um die Teilnahme an der WM am selben Abend in der Türkei nicht live sehen zu können. Als die Redaktion sich um eine Akkreditierung für das a-ha Konzert bemühte war aber auch nicht abzusehen, dass die Schweitzer Nati ihre fast schon sichere direkte Qualifikation noch gegen Israel und in Irland vergeigen würde. Aber schon auf der Fahrt mit dem Tram 6 Richtung Mustermesse Basel gewann die Vorfreude auf das kommende Konzert die Oberhand.
Ich holte meine Eintrittskarte, nahm eine wirklich schöne Pressemappe in Empfang und stieg die Treppe nach oben. Dort musterte ich erstmal meine Umgebung. Menschen jeder Altersgruppe standen in Grüppchen im Raum oder an einer der beiden Bars. Auf einmal drang riesiger Jubel von der entfernteren Theke zu mir herüber. Dort lief ein Fernseher und Alex Frei hatte gerade die Schweiz mit 0:1 gegen die Türkei in Führung gebracht.
Ich hege große Sympathien für den Fußball in meinem Nachbarland. Ich war sogar lange Jahre Stammgast beim FC Basel. Das war allerdings als das Stadion noch St. Jakob Stadion hieß und man auch in die Muttenzer Fan Kurve durfte wenn man einen IQ von mehr als 50 hatte. Ich beschloss auf die Schweizer Führung ein Bier zu trinken, bestellte, bezahlte einen wirklich humanen Preis und nahm einen Schluck. Just in diesem Moment erzielte die Türkei den Ausgleich.
Das Bier schmeckte trotzdem. Die Türken würden keine vier Tore gegen Köbis Jungs erzielen. Wäre ja noch schöner. 25 Minuten vor Konzertbeginn machte ich mich auf die Suche nach meinem Platz. Beim Betreten des Saales überkam mich eine fast feierliche Stimmung, so glanzvoll wirkte das Ambiente. Wunderbar beleuchtet die Bühne, das Saallicht gedämmt, so dass die Kerzen auf den kleinen runden Tischen erst recht zur Geltung kamen. Es kam mir so vor, als hätte ich einen sehr edlen, aber etwas überdimensionierten Nachtclub betreten.
Meinen Tisch fand ich ohne Probleme, ich hatte mir den Saalplan im Internet angesehen. Profis bei der Arbeit halt. Ein Schweizer Kollege hatte schon Platz genommen und bereitete seine Unterlagen vor. Wir kamen rasch ins Gespräch und es stellte sich heraus, dass er ein guter Kenner der Vorgruppe Mañana war und diese seit den ersten musikalischen Gehversuchen in einem Jugendclub begleitete.

Spitzenlocation!
Das hat was! Wo kann man in edlerem Ambiente Live-Musik lauschen?

Es war kurz vor 20:00 Uhr als plötzlich mehrere Handys piepsten, was kurzfristig bei den Besitzern eine leichte Depression auslöste. Die Türken hatten eben ihren zweiten Treffer erzielt. Das Frühwarnsystem funktionierte. Ich wünschte mir trotzdem inständig dass die Dinger während des Konzertes ausgeschaltet sein würden.
Kurz nach 20:00 Uhr betrat Matthias Müller, der Festivalpräsident, die Bühne um die beiden Bands anzusagen und natürlich die Sponsoren zu erwähnen, ohne die das Festival nicht möglich wäre.
Dann konnte es losgehen und Mañana aus Basel betraten die Bühne. Fünf Jungs die erst seit wenigen Jahren als Band zusammen sind und nun die Chance hatten, sich in exklusivem Rahmen zu präsentieren. Ihre Nervosität war förmlich bis zu meinem Platz zu spüren. Das verwunderte mich; die Band hatte ja doch schon einige größere Auftritte hinter sich und war auch schon mit den Lovebugs auf Tournee. Lag es am eher untypischen Konzertpublikum, der Bestuhlung oder am Kameragalgen des Schweizer Fernsehen der ihnen schon zu Anfang vor den Nasen herumgefahren wurde? Schwer zu sagen.
Sie begannen mit einem gitarrenlastigen Intro, das jeder Britpop-Band die zwei Gitarristen beschäftigt, zur Ehre gereicht hätte. Das war ganz nett anzuhören. Solide der Schlagzeuger, unauffällig der Bassist sowie der Keyboarder. Der Leadgitarrist, Jan Krattiger, hatte sehr mit seinem Sound zu kämpfen und drehte immer wieder zwischen den Stücken hektisch am Verstärker sowie an den Gitarren selbst, schien aber nie mit seinem Klang zufrieden. Der Schwachpunkt an diesem Abend war aber der Sänger und zweite Gittarist in Personalunion, Manuel Bürkli. Schon bei den ersten Gesangszeilen traf er ein paar Töne nicht richtig und davon erholte er sich offensichtlich nicht mehr vollständig. Sein Hauptproblem waren die Wechsel von normaler Singstimme zu Kopfstimme. Häufig überschlug sich seine Stimme in der Höhe. Dadurch wohl selbst erschrocken hatte er dann Mühe, ins Stück zurück zu finden. Dass er dabei auch noch meistens Gitarre spielen musste, machte die Sache sicher nicht einfacher. Es gab aber auch z. B. das viel versprechende Stück "Monster" bei dem die Band einschließlich Manuel ihr zweifelsohne vorhandenes Potential andeutete.
Gegen Ende ihres Sets fragte der Manuel Bürkli ins Publikum wie den das Länderspiel stünde. "3:1" bekam er vielstimmig zur Antwort. Jetzt wurde es eng für die Schweizer. Noch ein Tor für die Türkei und der Traum des ganzen Landes wäre ausgeträumt. Kollektives Aufstöhnen im Saal war die Folge.
Mañana brachten ihr Set zu Ende und erhielten höflichen Applaus des Publikums. Mann konnte den Jungs bei ihrer Abschiedsverbeugung ansehen wie froh sie waren, dass dieser Auftritt hinter ihnen lag.
Die Gruppe besitzt sicherlich viel mehr musikalisches Potential als sie an diesem Abend zeigen konnte. Mit diesem Auftritt können sie selbst nicht zufrieden sein. Ich werde mir die Band mit Sicherheit bei einer anderen Gelegenheit noch einmal anhören. Dieser Auftritt lässt kein abschließendes Urteil zu.
Die jetzt folgende Umbaupause nutzten die Besucher um sich wieder um den einzigen vorhandenen Fernseher zu scharen. Ich holte mir zuerst noch ein Bier und musste so - zu spät gekommen - mit einem Platz ohne Sicht auf das Geschehen vorlieb nehmen. Das war allerdings kein Handicap denn durch die Reaktionen der Menge wusste man immer, wo sich der Ball grade befand.
Und plötzlich brodelte der Saal. Die Lautstärke schwoll an und als dann Streller den Ball tatsächlich zum 2:3 im Tor der Türken unterbrachte kam es zur kollektiven Explosion.
Ich freute mich mit den jetzt gar nicht mehr so reservierten Schweizern. Die Türkei erzielte zwar auch noch ein Tor, aber der Käs' war gegessen. Das Spiel ging zu Ende und die Schweizer fahren zur WM nach Deutschland. Das ist mir auch lieber so. Im Gegensatz zur Türkei ist doch der größte Teil des Landes aufgeklärt. Zwar haben die Frauen im schönen Kanton Appenzell Innerhoden auch erst seit 1990 das Wahlrecht, aber sie werden wenigstens nicht gezwungen mit Geschirrtüchern auf dem Kopf herum zu laufen.
Um 21:30 Uhr war es dann soweit. Das Deckenlicht erlosch und der vordere Teil des Saals wurde in kühles blaues Licht getaucht. Riesenapplaus als zunächst die Begleitmusiker die Bühne betraten. Sie spielten das Intro zu "Cecile" vom neuen Album "Analogue", und schemenhaft zu erkennen erschienen Morten Harket, Pål Waaktaar-Savoy und Magne Furuholmen, die eigentliche Kernband, freudig begrüßt vom wohl noch immer siegestrunkenen Publikum. Schlagzeug, Bass und wahlweise zwei Keyboards und eine Gitarre oder umgekehrt, dazu diese Stimme mit dem sehr hohem Wiedererkennungswert; das waren die Inkredienzen mit denen a-ha sein Publikum in den Bann zog.
Von Anfang an war der Sound hervorragend, einzig Morten Harket suchte noch kurz seine Form. Die Stücke zu Beginn des Konzertes waren mir nicht alle bekannt, sie klangen aber unverwechselbar nach a-ha und nichts Anderem. Nach dem dritten Song verließen die fotografierenden Kollegen fluchtartig das Terrain vor der Bühne. Wer die von den Seiten anstürmenden Teenies sah, der wusste warum. Ich fragte mich allerdings, ob die Zuhörer an den bühnennahen Tischen jetzt überhaupt noch etwas sahen.

Morten, Pal und Magne. Wirklich schon Mitte 40?
Morten, Pal und Magne. Wirklich schon Mitte 40?

Die Stimmung war jedenfalls prächtig und als die Band als siebtes Stück "Crying in the Rain" anstimmten, waren sowohl a-ha wie auch das Publikum endgültig im Konzert angekommen. Die Gitarren rockten jetzt ab und an sogar, und die Keyboards lieferten sich kurze Duelle. Beim freudig begrüßten "Hunting High And Low" spitzte ich meine Ohren. Und nein, ich bin nicht der Meinung so vieler Kollegen dass die Stimme von Morten nicht mehr so klar und stabil sei wie vor zwanzig Jahren. Er sang das Stück kräftig und ohne jedes Zittern in der Stimme, einfach zum niederknien. Und außerdem fällt mir ein Vergleich, wie wohl den meisten Kritikern, schwer. Wer hat den die Band vor zwanzig Jahren live gesehen und kann das damals Gehörte noch heute zum exakten Vergleich heranziehen?
Die Band harmonierte immer besser, je länger der Auftritt dauerte. Es machte einfach Spaß. Eine Showband sind a-ha beileibe nicht, sparsam die Bewegungen und Gesten, aber die Lichteffekte konnten sich sehen lassen. Wenn man bedenkt, wie lange die Band schon existiert, muss man attestieren dass sie sich eine gewisse Frische bewahrt hat. Ich jedenfalls hatte nie das Gefühl dass an diesem Abend Männer im mittleren Alter ein ungeliebtes Programm abspulen. Sie gaben Songs aus jeder ihrer Schaffensperioden zum Besten. Die Gruppe lebt und hat sich ihren eigenen Sound absolut bewahrt.
Nach dem Ende ihres Sets kamen die Musiker, gefordert vom Publikum, noch einmal auf die Bühne. Sie spielten drei Stücke hintereinander. Danach nahmen sie noch einmal großen Applaus entgegen, dann war das Konzert zu Ende.
Was bleibt als Fazit dieses 16. November 2005? Ein wirklich ansprechend geschmückter Konzertsaal. Eine Vorgruppe, die vergeblich versuchte ihr Heimspiel zu gewinnen, eine ehemalige Teenieband die ein Konzert auf hohem Niveau ablieferte. Und das Wichtigste. Eine Schweizer Fußballmannschaft die ein unglaublich wichtiges Spiel 2:4 "gewann". Alles in Allem war es ein richtig schöner Abend.
The Bishop

Mañana sind:
Manuel Bürkli, Gesang/Gitarre
Jan Krattiger, Gitarre
Lorenz Hunziker, Schlagzeug
Samuel Burri, Bass
Stephan Bader, Tasteninstrumente

a-ha sind:
Morten Harket, Gesang
Pål Waaktaar-Savoy, Gitarre
Magne Furuholmen, Tasteninstrumente, wahlweise Gitarre
Und:
Sven Lindvall, Bass
Per Lindvall, Schlagzeug
Christer Karlsson, Tasteninstrumente

Zuschauer: 1280 (ausverkauft)

Heimatseite von Mañana
Heimatseite von a-ha
03.11.2005: Vaya Con Dios, AVO-Session, Basel
AVO-Session





Altweibersommer im Jazzhaus
19.11.2005 Stereototal, Jazzhaus, Freiburg

Einmal mehr ein sonniger Tag, auf den Bergen des geliebten Schwarzwaldes liegt der erste Schnee, aber vom Nebel der letzten Tage ist weit und breit nichts mehr zu sehen, die Sonne strahlt den ganzen Tag. Grund genug, den Nachmittag erst einmal mit einem Spaziergang in der Sonne zu füllen.
Der Nachmittag verläuft lehrreich, ich erzähle der Begleitung, dass ich bei meinem letzten Aufenthalt auf dem Schauinsland ganze Wiesen mit Spinnweben überzogen gesehen habe und erfahre dann, dass daher der Begriff "Altweibersommer" herrührt. Weil die Spinnen spinnen, spinnen sie beim nahenden Winter alles zu, was sie nur spinnen können, und deshalb sieht's überall so aus, wie die Haare einer alten Frau. Die Erkenntnis des Tages ist also eine etymologische, was man beim Konzert des Abends wohl eher nicht erwarten kann.

''Altweibersommer'' - etymologische Quelle
Spinnweben auf einer Wiese am Schauinsland: Etymologischer Quell des Wortes "Altweibersommer"

"Stereototal" steht auf dem Programm. Zum ersten mal gehört habe ich von der Band, als ich 2001 die Pankerknacker-Hörspiel-CD, die dem Heft #8 beilag, "produzierte", auf der ein Bericht über Stereototal war. Doch erst zwei Jahre später habe ich Stereototal wirklich kennen gelernt, als bei den zahlreichen Bauwochenenden das Album "Musique Automatique" zur Standardbeschallung gehörte. Im Frühjahr scheiterte ein Redaktionsausflug zu einem Konzert von Stereototal nach Winterthur daran, dass jeder irgendwie eine andere Ausrede hatte, unter anderem war zu hören, dass das neue Album ja nicht mehr so gut sei und man sich das deshalb ja nimmer anhören müsse. Das es dabei um etwas völlig anderes ging erfuhr man ein paar Tage später und gehört hier auch gar nicht hin. Jetzt endlich ist Stereototal in Freiburg und das kann man sich ja dann nicht entgehen lassen.
In der erwartet sporadischen Besetzung Brezel Göring und Françoise Cactus treten sie mit 20 minütiger Verspätung auf die Bühne und das Jazzhaus kocht vom ersten Stück an. Gleich vorneweg: Es ist unglaublich, was die beiden da auf der Bühne treiben und aus ihren Instrumenten herausholen. Ok, sie haben zweifellos einen hardwaresequenzergesteuerten Synthesizer und Sampler, und manchmal kommt sogar die Stimme "vom Band" - aber anders ist so ein Soundbad zu zweit wohl nicht auf die Bühne zu legen.
Charismatische Bühnenpräsenz: Françoise Cactus Sehr zu meiner überraschung setzt sich Françoise zu "Musique Automatique" erstmals ans Schlagzeug, wobei die überraschung eher daher rührt, dass ich mich vorab nicht sonderlich mit der Band beschäftigt habe, hat sie das doch schon bei einer der ersten Sessions mit Brezel getan - damals noch auf verschieden großen Kartons. Möglicherweise war da auch noch die ein oder andere Waschmitteltonne mit dabei.
Zu "Liebe zu Dritt" wird konsequent eine Mitsängerin aus dem Publikum auf die Bühne geholt, von der aber nicht viel zu hören ist. überhaupt gibt sich Stereototal sehr Publikumsnah: Zu "Moviestar" werden massig Leute zum Mittanzen auf die Bühne geholt, aus den kurzen aber zahlreichen Pausen kommt Brezel immer mit reichlich Bier zurück und verteilt es im Publikum.
Mit einer unglaublichen Schlagzahl wird ein Hit nach dem anderen auf die Bühne gelegt, und bereits nach 50 Minuten wird erstmals das "letzte Lied" angesagt, was zu einem leichten Grummeln führt, doch es sollte erst die Halbzeitpause markieren. Insgesamt gehen Stereototal fünfmal wieder von der Bühne, wobei man trefflich darüber spekulieren kann, ob Brezel jeweils erst mal eine Nase ziehen muss, so aufgedreht, wie der auf der Bühne rumspringt. Man fühlt sich ein wenig an Paul Rutherford erinnert, der bei Frankie Goes To Hollywood dereinst die Rolle des "Shouters" innehatte.

Gitarre in Herzform - süß.
Gitarre in Herzform - süß.

Insgesamt ein phänomenales Konzert, vielleicht alles in allem etwas kurz und durch die frühe Pause auch immer ein wenig mit der "Angst" verbunden, dass es viel zu schnell zu Ende sein könnte. Am Schluss blieb kaum ein Wunsch offen, die punktypische Kürze der Stücke erlaubte es, dass wirklich kein Hit fehlte.
Bleibt die Frage, wie man in diesen Text jetzt noch den "C64" resp. die "Bontempi-Orgel" einbaut, mit denen man Soundelemente von Stereototal so trefflich beschreiben kann. Auch wenn weder der eine, noch die andere auf der Bühne zu finden waren.
Nach dem Konzert muss man seine Füße einmal mehr Jazzhaus-typisch vor rollenden Bierfässern in acht nehmen. Aber man ist ja vorgewarnt...
jh

Stereototal sind:
Brezel Göring, Gesang, Synthesizer-Tasten, Gitarre, Schlagzeug
Françoise Cactus, Gesang, Schlagzeug, Gitarre

Zuschauer: 800 (ausverkauft)
Spieldauer: 85 min
Zu-Spät-Quotient: 7

Heimatseite von Stereototal
Jazzhaus Freiburg
Heimatseite des Pankerknacker
28.10.2005: Stimmung pur im vollen Keller
''Altweibersommer'' bei Wikipedia




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A-Cappella mit hohem Unterhaltungswert
08.11.2005, Wise Guys, Stadtcasino, Basel

Schon seit Tagen war ich gespannt auf das Konzert der Wise Guys im Basler Stadtcasino. Aufmerksam geworden durch ein fast schon winziges Plakat an einem Bauzaun in Basel und vorinformiert durch das Internet wusste ich lediglich, dass mich eine A-Cappella-Gruppe erwarten würde.
Bis dahin waren erwachsene Männer die A-Cappella singen für mich immer in verdächtiger Nähe zu Warmduschern, Frauenverstehern oder dem anderen Ufer anzusiedeln. Um es vornweg zu nehmen. Edzard Hüneke, Daniel 'Dän' Dickopf, Marc Sahr, Ferenc Husta und Clemens Tewinkel scheinen eher zu Frauen zu tendieren und machen einfach Spaß.
Beim ersten Stück betraten die Barden nacheinander die Bühne und bewiesen, untermauert vom Text, dass A-Cappella nur in der Gruppe funktioniert. Es herrschte schon nach den ersten Stücken Stimmung im Saal, auch begünstigt durch die humorigen Ansagen und überleitungen, die schon mal mehrere Minuten dauern durften. Auch reagierte vor allem Dän immer wieder spontan, so zum Beispiel als er zwei zu spät kommende junge Frauen über die Gründe ausfragte, während diese sich immer hektischer auf die Suche nach ihren Plätzen begaben.
Nach kurzer Zeit waren die Zuhörer bester Laune und klatschten auch während der Darbietungen Szenenapplaus. Die Texte sind mit vom Feinsten was ich bis jetzt auf Deutsch gehört habe. So die Geschichte von der verliebten jungen Dame die ihrem Begleiter, am Meer sitzend, den großen Mond und die funkelnden Sterne näher bringen will, von diesem aber mit physikalischen Erklärungen doch merklich abgekühlt wird. Lustig die Geschichte vom Biber und dem fiesen Fritz. Es ging wirklich hoch her. Kurz vor der Pause, taktisch nicht unklug gaben sie "Ich bin dein Ohrwurm" zum Besten, ein Lied dass mich doch tatsächlich zwei Tage verfolgen sollte.

Wise Guys, klasse choreographiert.
Wise Guys, klasse choreographiert.

Nach 25 Minuten Pause betraten die Wise Guys wieder die Bühne. Sah man sie im ersten Teil des Auftritts noch lässig in Jeans und darüber getragenen Hemden; so hatten sie sich jetzt; Zitat Dän "in Figur schmeichelndes", edles, schwarzes Tuch gewandet. Ihren Drive hatten sie nicht in der Garderobe gelassen. Weil man ja auch was lernen soll bekamen die Besucher einen Kurs in der Kunst des "Mundschlagzeugspielens". Für mich dann ein absoluter Höhepunkt, das Stück "Wir werden Weltmeister", in dem der Deutsche an sich ordentlich auf die Schippe genommen wird. Sehr gut auch gelungen der Wechselgesang zwischen Band und Publikum der sich wirklich hören lassen konnte. Dabei kam wohl die fantastische Akustik im Casino zum Tragen, die von Experten als die Drittbeste der Welt bezeichnet wird.
Wie im Flug verging die Zeit. Es war wirklich eines der Konzerte wo keine Sekunde Langeweile aufkam. Wohlerzogen bedankte sich die Band bei den Angestellten des Casinos, beim Beleuchter und beim Tontechniker. Dann verschwanden sie in der Garderobe, begleitet von Standing Ovations. Natürlich gab es noch Zugaben und zwei Besucher die den Saal schon vorzeitig verließen wurden persönlich verabschiedet. Nach der Ankündigung nach einer kurzen Umziehpause noch auf ein Bier im Foyer vorbei zu schauen, ging das Konzert zu Ende.
Was bleibt? Satte zwei Stunden veranstalteten die Wise Guys ein Feuerwerk von guter Musik und klugen Texten. Ein grossteil des anwesenden Publikums wird jedenfalls, durch Mundpropaganda, seinen Teil dazu beitragen, dass beim nächsten Wise Guys Konzert im Stadtcasino Basel der Balkon für mehr Besucher geöffnet werden muss. Wetten?
The Bishop

Spieldauer: 125 min
Zuschauer: 800

Heimatseite der Wise Guys



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Nobles Konzert in noblem Rahmen
03.11.2005, Vaya Con Dios, AVO-Session, Basel

Anfang November im T-Shirt auf dem Freiburger Uni-Campus sitzen ist ja schon irgendwie pervers. Aber das Tief über Großbritannien hat warme Luft aus dem Südwesten angesaugt und uns einen herrlichen Sommertag Mitten im Winter beschert. Wo das wohl noch hinführen wird?
In dieser Sommerstimmung geht es des Abends nach Basel, der Eröffnungsabend der "AVO-Session Basel" mit Michael von der Heide und Vaya Con Dios stehen auf dem Programm. Das Ambiente ist ausgesprochen nobel, das geschätzte Durchschnittsalter lag bei 49, der Festsaal der Messe Basel war wunderbar hergerichtet, runde Tischchen mit Kerzen, und wenn man nicht auf den billigen Plätzen saß, wurde man mit reichlich Wein, Sekt und Wasser versorgt. Wenn man bedenkt, dass man also für 120 Stutz einen veritablen Vollrausch mit nach Hause hätte nehmen können und noch dazu zwei ganz gute Bands sehen konnte, ein insgesamt akzeptabler Preis. Auf den billigeren Plätzen stehen immerhin noch Chips parat. Garderobentechnisch fallen eigentlich nur einige KollegInnen auf den Presseplätzen aus der Reihe, Abendgarderobe ist wohl angesagt.
Zur Eröffnung der AVO-Session gab es ein paar einleitende Worte des Festivalpräsidenten, der meinte zum Anfang sollte es "öbs us de Schwiz si". Und so sollte es auch sein: Michael von der Heide, ein Schweizer Bergbauersohn, gelernter Krankenpfleger, der aber schon in frühester Jugend musikalische Erfahrungen gemacht hat, was man dann auf der Bühne auch bemerkt: Er versteht sein Handwerk. Zwischendurch wird der "Tanzschritt der 80er Jahre" erklärt, den meine Musiklehrerin (dass ich Sie noch mal zitieren werde hätte ich auch nicht im Leben nicht gedacht, Frau Hunisch) einmal als "mit sich selbst herumhüpfen" bezeichnete, verbunden mit einem Medley aus Sabrinas "Boys, Boys, Boys", Madonnas "Like A Virgin", Huber Kahs "Sternenhimmel" und diverser anderer "Hits" der 80er Jahre, nur begleitet vom Schlagzeug. Auch eine Coverversion eines Hits von Stephanie von Monaco muss man über sich ergehen lassen, was zwar nett und witzig angesagt wird, aber diese Art von Musik ist dann einfach wirklich nicht meine.
Zum Schluss bekam man noch einen bedeutungsschweren Satz auf den Weg: "wenn man nicht hat was man liebt, muss man lieben was man hat". Dem ist dann nur noch hinzuzufügen, dass ich schon bedeutend schlechtere Vorgruppen über mich ergehen lassen musste (wobei ich beispielsweise an die Tiger Tunes denke, um die man bei einem Konzert der Helden scheinbar nicht herumkommt).

AVO-Session: Jeden Tag ein neues Bild über dem Eingang zur Messehalle in Basel.
AVO-Session: Jeden Tag ein neues Bild über dem Eingang zur Messehalle in Basel.

Die Pause nach Michael von der Heide dauerte ziemlich lange, aber bis alle Sektkühler wieder mit vollen Flaschen bestückt, die zahlreichen Weinflaschen entkorkt und alle ihre Blasen entleert hatten, ist dann auch die Bühne umgebaut und der Festivalpräsident lässt es sich nicht nehmen, Dani Klein mit Vaya Con Dios höchstpersönlich anzusagen.
Eigentlich kenn' ich nur das Debütalbum der Band, das 1988 erschienen ist, und von dem einige Stücke auf so einer Mixkassette meines Bruders zu finden waren, die ich wohl öfter gehört habe als er, schlicht deshalb, weil ich sie meistens hatte.
Es fing etwas plätschernd an, vielleicht weil ich die Stücke nicht kannte, vielleicht aber auch, weil's einfach plätschernd war. Schon gut, brillant arrangiert, aber eben kein mitreißender Rock'n'Roll. So gesehen durchaus ein Konzert, dass man sich gut und gern im Sitzen anhören kann. Nach zwanzig Minuten mit "Don't Cry for Louie" das erste Stück von besagtem Album und dann aber eins nach dem anderen. "Just A Friend Of Mine" wird wunderbar mit Akustikgitarre variiert, die Latin-Folk-Runde wird mit "Johnny" eröffnet und konsequent nahtlos mit "Puerto Rico" fortgesetzt.
Darauf folgte ein Lied in Deutsch, wobei Dani Klein sich vorab für ihren Akzent entschuldigt, da sie eigentlich kein Deutsch spricht. Man möchte ihr in diesem Moment zurufen, dass wir hier in der Schweiz seien, und hier niemand Deutsch könne. Wobei aus linguistischer Sicht anzumerken ist, dass Schwizerdütsch weit mehr mit Hochdeutsch zu tun hat - um nicht zu sagen, es ist das eigentliche Hochdeutsch.
Nach rund 50 Minuten stellt sich bei "What's A Woman" die erste, im Programmheft angekündigte, Gänsehaut ein. Leider auch zum letzten mal an diesem Abend.

Verdiente stehende Ovationen für Dani Klein mit Vaya Con Dios.
Verdiente stehende Ovationen für Dani Klein mit Vaya Con Dios.

Sehr angenehm ist das nicht abfeiern der MusikerInnen in einem Aufwasch, nein, sie werden nach und nach in den Pausen vorgestellt und dürfen ihren verdienten Applaus abholen.
Dani Klein war viel unterwegs in den letzten Jahren, was man Ihrer Musik anhört, frankophone Chansoneinflüsse sind ebenso zu hören, wie Musik aus Afrika und Südamerika. Weltmusik eben, weltklasse arrangiert.
jh

Michael von der Heide wurde begleitet von:
Tim Kleinert, Tasten; Lukas Schwengeler, Gitarre; Luca Leombruni, Bass; Remo Signer, Schlagzeug
Vaya Con Dios sind:
Dani Klein, Vocals; Maria Lekransky, backing vocals; Philippe Allaert, Drums; Ad Cominotto, keys, accordion; Carmelo Prestigacomo, git; Thierry Van Durme, git; Bert Embrechts, bass; Red Gjeci, violin; Tim Der Jonghe, trumpet
Zu-Spät-Quotient: (7)

Spieldauer:
Michael von der Heide: 60 min
Vaya Con Dios: 85 min
Zuschauer: 1530 (ausverkauft)

AVO-Session
Michael von der Heides Heimatseite



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Spanische Kultband rockt das Jazzhaus
Stimmung pur im vollen Keller
28.10.2005: Jarabe de Palo, Jazzhaus, Freiburg

Schon vor dem Freiburger Jazzhause war abzusehen, dass die Veranstaltung sehr gut besucht sein würde. Hunderte Menschen hielten sich vor der Treppe zum Jazzhaus auf. Schon um 19.45 Uhr war der Zuschauerraum vor der Bühne mehr als nur gut gefüllt. Was mir auffiel: es waren ungewöhnlich viele sehr grosse Menschen anwesend. Sehr gross bedeutet aus meiner Warte über 1,90 Meter. Selbst mir, nicht gerade kleinwüchsig, war der Blick auf die Bühne durch die diversen Riesen eingeschränkt.
Mit der unerheblichen Verspätung von 15 Minuten bahnte die Band sich einen Weg mitten durch die erwartungsfrohen Fans und betrat unter begeistertem Jubel der Zuschauer die Bühne. Durch den Applaus alarmiert, stürmten auch noch die letzen draussen verbliebenen Fans das Jazzhaus und schlagartig war es so voll, wie ich es noch nie in diesen Hallen erlebt habe.
Die Band begann mit zwei Gitarren (zwei Fender Telecaster in einer Band war neu für mich), einem Percussionisten, in der Mitte der Keyboarder, dahinter der Drummer und auf der Bühne rechts in der Ecke die Bassistin. Obwohl ich die ersten Stücke nicht kannte, nahm mich sofort die unverwechselbare Stimme des Sängers gefangen.
Die Stimmung war vom ersten Augenblick an top. Die Band brachte sich sympathisch rüber, zeigte keinerlei Starallüren und liess es krachen. Der Schlagzeuger trieb mit präzisem Rockdrive das Ganze nach vorne, der Percussionist sorgte für zusätzlichen Rhythmus. Der glatzköpfige Leadgittarist zeigte dass er Rock und Blues beherrscht. Der Sänger und zweite Gitarrist in Personalunion prägte durch seinen Gesang das Ganze.
Der Keyboarder animierte das Publikum immer wieder durch seine wahnwitzigen Soloeinlagen, gepaart mit seiner clownesken Mimik zu Szenenapplaus. Last und auch least die Bassistin. Sie spielte einen grundsoliden Bass ohne jegliche Schnörkel und sorgte mit dem Schlagzeuger für ein immer tragfähiges Rhythmusfundament.
Als der Sänger ins Publikum fragte wer der Anwesenden alles spanischer Herkunft wäre outeten sich ein paar Gäste sogleich als Lügner. Fast alle der zwei Meter Riesen reckten ihre Hände. Mal nur unter uns; so grosse Spanier gibt es höchstens in deren Basketball-Nationalmannschaft.
Das Konzert gewann zusehends an Dynamik, Band und Publikum waren warm geworden. Darum wohl auch die tropischen Temperaturen die auf einmal im Gewölbe herrschten.
Dann intonierte Jarabe de Palo "el lado oscuro", ein Bluesrock vom Feinsten mit sehr melodischem Gitarrensolo. Es folgten zwei etwas langsamere, leisere Stücke die mir leider durch die beiden besoffenen Bauerntrampel, die sich vor mir lautstark ihre Weibergeschichten vorlogen, etwas verdorben wurden. Sympathisch wiederum empfand ich, als mir eine Bedienstete der hinteren Bar ohne jede Vorwarnung, ein volles Bierfass über den Fuss rollte. Das gibt es doch nur im Freiburger Jazzhaus.
Nach 90 Minuten beendete die Band das Konzert, kam aber ohne sich lange Bitten zu lassen für zwei Stücke zurück. Nach einem weiteren Abgang kamen sie ein letztes Mal und spielten den Song der sie um 1996 zunächst in Spanien zu Stars machte, zum zweiten Mal. Als die letzten Töne von "la flaca" ausklangen war das Publikum zufrieden und forderte nicht mehr mit letztem Einsatz weitere Zugaben.
Es war ein wirklich stimmungsvolles Konzert mit tollen Musikern und einem Publikum dass zum Feiern aufgelegt war. Schön dass es den Machern des Jazzhaus immer wieder gelingt solche Perlen der internationalen Musikszene aus dem Hut zu Zaubern.
The Bishop

Jarabe de Palo sind:
Pau Donés: Gesang, Strom- und Akustikgitarre
Alex Tenas: Schlagwerk
Dani Forcada: Perkussion
Mariá Roch: Bass
Jordi Mena: Strom- und Akustikgitarre
Toni "Chupi" Saigi: Tasten

Zuschauer: 700
Spieldauer: 110 min

Jazzhaus Freiburg
Jarabe De Palo, Heimatseite



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Siggi Zimmerschied - der Scheißhaussepp
23.10.2005, Burghof Lörrach

"Die Hexe von Passau" ist eine vollkommen unbedeutende Oper von Richard Billinger (österreichischer Schriftsteller und Bauernsohn, verstorben 1965 in Linz). Der/die geneigte LeserIn wird sich an dieser Stelle fragen, warum diese Information in Sachen Siggi Zimmerschied wichtig ist. Die Gemeinsamkeit liegt in der Bedeutungslosigkeit und natürlich dem Ort Passau. Siggi Zimmerschied bezeichnet sich in seinen Pressetexten selbst als "Passauer Urgestein". In seinem 10. Soloprogramm karikiert Zimmerschied vornehmlich Autolackierer, Fliesenleger und Hausmeister und kann somit dem sogenannten Typenkabarett zugeordnet werden.

Siggi Zimmerschied, stinkend.
Ausgerechnet neben uns musste er sich setzen. Nichtwissend, dass unser Korrespondent ein feines Näschen hat und merkte, dass die Bühnenklamotten - wie Bühnenklamotten eben so sind - modrig stinken.

Nach Ansehen seines neuen Programms drängt sich unweigerlich die Frage auf, warum Zimmerschied nicht einen dieser von ihm karikierten Berufe ergriffen hat. Klar, nicht jeder Kabarettist kann ein Hildebrandt oder Scheibner sein ­ aber doch wenigstens ein Heinz Becker, das muss schon drin sein. Nichtsdestotrotz muss gesagt werden, dass es Siggi Zimmerschied mit kindlicher Naivität und Selbstvergessenheit versteht, seinen Zuhörern bodenständige handwerkliche Berufe näher zu bringen. Dieser fast schon infantile Vermittlungsversuch beinhaltet eine gewisse Komik, welche durchaus als positiv bewertet werden kann. Der dem Vortrag dazugehörende Gesichtsausdruck des Kabarettisten, entlockt dann zwangsläufig auch den ernsthafteren Besuchern schallende Lacher.
Dr. Sartori

Spieldauer: 105 min
Zuschauer: ?

Der Künstler selbst bedank sich für diese Kritik am 27.11. per Mail:
"Vielen Dank für diese köstliche Studie über sinnliche Wahrnehmungsfrigidität, provinziellstem Chauvinismus und formengeschichtliches Analphabetentum, das sich als erlesener Geschmack tarnt.
Horvath hat recht.
Nichts gibt so sehr das Gefühl für Unendlichkeit wie Dummheit.
Grüße aus Passau
Sigi Zimmerschied"

Wir nehmen das kommentarlos hin...
die Red.

Burghof Lörrach
Siggi Zimmerschieds Heimatseite



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Spannender und aufregender als manch Kinofilm
SC Freiburg gewinnt in einem Gänsehautspiel 3:1 gegen den 1. FC Saarbrücken

"Sonnenschein", "Favoritenrolle", "personell aus dem Vollen schöpfen können", "goldener Oktober", das sind so die Stichworte, des Sonntagnachmittags, als ich mich aufmache, das Zweitligaspiel des SC Freiburg gegen den 1. FC Saarbrücken anzuschauen.
Heute mache ich sozusagen meine Stadionrunde komplett. "auf Süd" stehen (wenn man so will die ‚billigen Plätze'), "auf Süd" sitzen, "auf Nord" stehen (da wo die vermeintlich ‚echten Fans' stehen), auf der Gegengerade sitzen, alles schon mal mitgemacht, nur die Haupttribüne hab' ich mir bisher noch nie gegönnt, jetzt sitze ich also in der Mitte der Haupttribüne und habe allerbeste Sicht auf das sonnengeflutete Spielfeld - sieht man mal von den zwei Säulen ab, die das Stadiondach halten. In Gedanken ziehe ich es dann der vollen freien Sicht doch vor, dass das Dach nicht herunterfällt.
Als ich ins Stadion komme, wird gerade das Badnerlied gesungen, eigentlich lehne ich ja Hymnen jeder Art ab, aber diese, die die Keimzelle der deutschen Demokratie besingt, singe ich dann doch immer inbrünstig mit. Viele Sitzplatzinhaber, meist etwas ältere Herren, stehen dazu sogar auf.
Kurz darauf laufen die Mannschaften ein und es geht ganz pünktlich los. Und wie! Der SC ist von der ersten Minute im Vorwärtsgang, holt in den ersten zwei Minuten zwei Ecken raus und bringt diese auch noch gefährlich vors Tor. Das Publikum fängt bereits an zu kochen, selten habe ich's erlebt, dass es von der ersten Minute an so präsent war. Gänsehautstimmung. Aber nicht nur die ersten zwei Minuten, der SC stürmt munter weiter und Saabrücken hat anfangs nicht den Hauch einer Chance. Wunderschöner Offensivfußball kann man an diesem Nachmittag beobachten und man spürt förmlich, dass die SC-Spieler heute gewinnen wollen.
Auch die ein oder andere lustige Szene ist zu beobachten: Der Torwart Ritchie Golz nimmt ab und an seine Mütze, die er wohl wegen der tiefstehenden Sonne aufhat, vom Kopf und spielt die Mütze in der Hand haltend mit, unsere Zaubermaus Iaschwilli bekommt im gegnerischen Strafraum (da wo er hingehört) einen sehr hohen Ball auf den Kopf und fällt dabei fast rücklings um - der Ball war wohl etwas zu hoch. Nur will einmal mehr das Tor nicht fallen, doch auch das sollte sich nach einer guten halben Stunde ändern: Ibrahim Tanko, der, wie Statistiker meinen, seit über vier Jahren nicht mehr getroffen hat (und ich mich langsam schon auch gefragt habe, warum der eigentlich noch mitspielen darf, auch wenn ich nicht verschweigen will, dass er ein Jahr von diesen vieren verletzt war), schiebt den Ball souverän aus 17 m halblinker Position ins linke untere Eck. 1:0 - das Stadion tobt, der erste Höhepunkt der heutigen Party ist erreicht.
Mit diesem Vorsprung geht es in die Pause, die man wahlweise - oder auch in Kombination - dazu nutzen kann, die Blase zu entleeren, eine Stadionwurst und ein gutes Bier des "Premiumsponsors" zu holen, oder auch einfach nur mal aufzustehen und die Beine etwas auszuschütteln.

Optimale Sicht von der Haupttribüne: Der Anstoß zur zweiten Halbzeit.
Optimale Sicht von der Haupttribüne: Der Anstoß zur zweiten Halbzeit.

In der zweiten Halbzeit spielt der SC auf das Tor im Norden hin, was insofern erwähnenswert ist, als das der Platz ein leichtes Gefälle in diese Richtung von einem Prozentchen hat, man kann also im Angriff leicht bergab rennen. Und der Sturmlauf geht weiter und ist bereits nach vier Minuten erfolgreich: Antar macht souverän das 2:0 - es scheint dann doch eher ein entspannter Nachmittag zu werden. Die nächste Viertelstunde brennt der SC ein Offensivfeuerwerk ab und die Stimmung im Stadion bereitet einem einmal mehr eine Gänsehaut. Die Saarländer um mich herum verzweifeln fast, ob der Defensivleistung ihres Teams. Die Nordtribüne grüßt mit einem "Hallo Südtribüne" ihr Gegenüber, die Südtribüne schallt "Hallo Nordtribüne" zurück. Ein nettes Spielchen, in Farbe und in Stereo. Ich frage mich, wo denn jetzt die ganzen dumpfbackenen "Finke raus!"-Rufer der letzten Saison sind. Diejenigen, die immer noch nicht kapiert haben, das Volker Finke das Beste ist, was dem SC passieren konnte, das Kontinuität allemal besser als kurzfristiger Erfolg ist. Ich freue mich immer, wenn der SC Freiburg im Zusammenhang mit den einzigen beiden schuldenfreien Profifußballvereinen in einem Atemzug mit dem FC Bayern genannt wird. Wo sind die jetzt? Sie feiern. Zu recht. Aber schämen sie sich auch ein wenig? Doch ich schweife ab.
Praktisch aus dem Nichts fällt dann der Anschlusstreffer für Saarbrücken (61.) und im Stadion wird es merklich ruhiger, mit der Entspannung ist es dann auch erst mal vorbei, Saarbrücken wird stärker und drängt auf den Ausgleich. Eine unglaubliche Spannung liegt in der Luft. Aber auch der SC ist offensiv nicht untätig und hat die ein oder andere Möglichkeit das Spiel mit dem 3:1 zu entscheiden.
In der 87. Spielminute wird Iaschwilli im Strafraum von den Beinen geholt und es gibt Elfmeter. Ein Saarländer, der zwei Reihen hinter mir sitzt, kann es nicht fassen und holt Schiedsrichterbeschimpfungen aus seiner untersten Schublade. Als ich mich umdrehe und meine, er solle doch mal die Augen aufmachen und hinschauen, ist nicht mehr der Schiedsrichter Ziel seiner Prollereien, sondern ich. Von der Beschimpfung des Sportjournalisten an sich, bis zur Mutmaßung ich würde für "Haribo" schreiben, reichen seine höchst amüsanten Ausführungen. Dennis Aogo, der jüngste Freiburger auf dem Platz, nimmt den Ball, wird "von Nord" vorab schon mit Sprechchören gefeiert und verwandelt den Elfmeter souverän. 3:1, das Spiel ist gewonnen. Der SC steht erstmals in dieser Saison da, wo er hingehört: auf einem Aufstiegsplatz.
Alles in allem ein höchst unterhaltsamer Nachmittag der alles hatte, was man so braucht: Spaß, Spiel, Spannung. Und das ganze ist dann auch noch günstiger als ein Kinobesuch, wenn man denn steht.
Mein Freund ist aus Leder.
jh

Zuschauer: 14.500
Spieldauer: 90 min
Zu-Spät-Quotient: 8

SC Freiburg aktuell


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Julius H. Barkas "Pyramide der Wahrheit"
Verschwörung?

Das Buch wurde mir von einem Freund empfohlen der mir erklärte nach der Lektüre würde ich die Welt mit anderen Augen sehen. "Fang erst an zu lesen wenn du genug Zeit hast. Du wirst es in einem Rutsch verschlingen", gab er mir als Rat mit auf den Weg.
Ich besorgte das Werk für schlappe 23 € und machte es mir in meinem Lieblingssessel bequem. Auf den Rückwärtigen Einband konnte ich lesen, dass mir das "unfassbare Geheimnis unserer Zeit" auf 256 Buchseiten erklärt werden würde.
"Cool", dachte ich und schlug das Werk auf.
Um was geht es?
Die Welt wird von wenigen Familien regiert, deren Namen jeder kennt, dem so genannten Komitee der 300. Der Weg durch die Geschichte vom Bau der Pyramiden an bis zur Gründung des Komitees im 1700 Jahrhundert wird langatmig dargelegt. Ab dann gewinnt das Buch deutlich an Fahrt.
Der Autor erklärt, immer wieder untermauert durch Querverweise; haupsächlich weisen diese Querverweise auf den Grossen Brockhaus oder Bücher anderer "Enthüllungsautoren" hin; wie diese wenigen Familien sich im Laufe der Zeit mehr und mehr Macht und Einfluss an sich rissen. Kriege wurden angezettelt und finanziert. Unliebsame Gegenspieler wurden einfach um die Ecke gebracht oder sonst wie mundtot gemacht. Die wichtigsten Medien befinden sich ebenfalls in den Händen einiger Weniger.
Unglaublich Behauptungen werden in den Raum gestellt. Vor allem verwandtschaftliche Verhältnisse unter Protagonisten der jüngeren Geschichte scheinen doch oft sehr weit hergeholt. Beängstigend plausibel wiederum wird das Zustandekommen der Ereignisse um den 11.9.2001 [Redaktionsintern immer noch "die Geburtsstunde der bemannt fliegenden Architekturkritik", the säzzer] erklärt. Aber ich will hier ja nicht zu viel verraten.
Mein ganz persönliches Fazit:
Ein durchaus interessantes, lesenswertes Buch das zum Nachdenken anregt. Auch wenn ab und zu eine klare Erzählstruktur schwer zu erkennen ist und immer wieder bereits erwähntes gebetsmühlenartig wiederholt wird. Jedenfalls sorgte es für reichlich Diskussionsstoff in meinem Bekanntenkreis und das ist ja nicht das Schlechteste, das man von einem "Aufklärungsbuch" sagen kann.
the bishop

Julius H. Barkas "Pyramide der Wahrheit"
Sandalphon Verlag, ca. 256 Seiten
ISBN 3-938-62903-7, 23,00 €


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"Pisse, Beißen, Huren, Eiter, Kotzen,..."
06.10.2005: Ben Becker liest Klaus Kinski, Burghof Lörrach

Es ist wohl mehr als zehn Jahre her, als ich eine Kinski-Aufnahme gehört habe, in der Erinnerung ist eigentlich nur einen Satz davon geblieben. Die nebenan wohnende Hilletje-Jans-Darstellerin kam auch sofort auf diesen Text zu sprechen, als sie mir kurz vor der Abfahrt noch ein Päckchen vorbeigebracht hat, dass sie dankenswerter Weise während meiner Abwesenheit entgegen nahm und ich ihr erzählte, dass ich zu Ben Becker liest Kinski gehe: "Du...Du... ich bin so wild auf Deinen Erdbeermund" - krank, krass, genial, exzentrisch, verrückt und was weiß ich, was man Kinski noch alles nachsagen kann.
Die Voraussetzungen für einen guten Abend waren also bereitet. Ben Becker liest Klaus Kinski, begleitet von der Zero Tolerance "Band" (die lediglich aus einem Schlagzeug und einem CD-Player bestand, einmal kam ein Akkordeon zum Einsatz) mit Jacki Engelken und Ulrik Spies.
Gelesen wurde im Lörracher Burghof - einem angemessene Ambiente für so einen Abend - wobei - für eine solche Lesung hätte man auch in irgend eine Unterführung gehen können. Aber es ist ja schon fast Winter und da war ein beheiztes Gebäude schon besser, zumal man sich bei einer Lesung ja tendenziell nicht bewegt - sieht man mal von dem rumrutschen auf den eher unbequemen Stühlen ab.

Andächtige Schlussworte unter dem Portrait des jungen Kinski - den Wodka bereitstehend.
Andächtige Schlussworte unter dem Portrait des jungen Kinski - den Wodka bereitstehend.

Gelesen wurde aus Kinskis "Fieber - Tagebuch eines Aussätzigen", die häufigsten Vokabeln dabei: "Kot, Eiter, kotzen, Pisse beißen, Huren, ..." - und genau, da fängt das Problem an: die Texte waren leider insgesamt etwas eintönig.
Die Interpretation von Becker und der Zero Tolerance Band dagegen allerdings nicht. Mal ganz ohne Begleitung, mal nur mit sporadischen Trommelschlägen untermauert, mal mit Natur- oder Citygeräuschen, einmal mit dem Ausruf "Jazz!" einen fulminanten Soundteppich einleitend hangelt sich Becker mit seiner mächtigen, präsenten Stimme durch die Kinski-Texte. Das dafür wohl notwendige Maß an Verrücktheit bringt Becker dafür allemal mit, oder er beherrscht die Kunst des Schauspiels eben so gut.

Die Verneigung vor dem Publikum.
Die Verneigung vor dem Publikum, Becker Kinski abfeiernd.

Als ich mich nach 70 Minuten schon auf die Pause eingestellt habe, endet ein Gedicht mit dem Satz "Ich muss hier weg", was Becker dazu nutze, aufzustehen und zu gehen. Ein Spitzenabgang, aber leider nicht zur Pause, sondern zum Ende. Als Zugabe werden noch öffentlich zwei Kurze hinter die Binde gekippt und ein fetter - berechtigter - Applaus eingefahren.
So kurz wie die Lesung ist folglich auch dieser Text.
jh/jb

Spieldauer: 70 min
Zuschauer: 220

Burghof Lörrach
Heimatseite von Ben Becker
Theater im Marienbad



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Eine Berner Band feiert in Basel ein Heimspiel
Patent Ochsner, 13.08.2005, Kunsti St. Margarethen, Basel

Kurz nach 21.00 Uhr betrat die Berner Mundart-Band die Bühne auf der idyllisch gelegenen Kunsteisbahn St. Margarethen in Basel an diesem milden Samstag Abend. Sie wurden euphorisch begrüsst vom erwartungsfrohen Publikum. Die Vorband mit Namen Gustav, hatte mit einer Art "Schweitzer Mundart Ska" gute Arbeit geleistet. Das Publikum war bereit. Die 8 köpfige Band legte los und als sich nach wenigen Takten der Bandleader Büne Huber dazu gesellte zeigte das Publikum zum ersten Mal, dass es bereit war eine Party zu Feiern. Vollkontakt. Büne Huber barfussVom ersten Augenblick an funktionierte die Kommunikation zwischen Band und den Zuhörern auf die Art, wie es nur bei ganz speziellen Konzerten der Fall ist. Obwohl in wenigen Tagen die neue CD der Band auf den Markt kommt verwöhnten Patent Ochsner ihr Publikum mit einem "Best of" Konzert und streute nur dezent den einen oder anderen neuen Song ein. Mit ihrem unverwechselbaren Mix aus Rock, Chanson, Blasmusik, Polka, Blues und was weiss ich noch alles, gelang es der ungemein präzise spielenden Band, die Stimmung kontinuierlich zu steigern. Die zum Teil sehr poetischen Texte in Berner Mundart, vom Bandleader Büne Huber mit seiner unverwechselbaren Stimme vorgetragen, taten ein übriges. Nach dem ersten Drittel des Konzertes übernahmen zunächst die weiblichen Zuschauer einen grossteil des Chorgesanges was die Band erfreut zur Kenntnis nahm. Und dann, als ich schon dachte das Konzert hätte sich stimmungsmässig auf hohem Niveau eingependelt drehte das Publikum durch. Die ersten Takte von Bälpmoos (der Song mit dem die Band um 1991 bekannt wurde) erklangen und von nun an gab es kein Halten mehr. Der Chorgesang war jetzt endgültig der Job des Publikums und die Band lies sich von der Stimmung treiben. So endete das Stück in einem grandiosen Finale aus tobenden Fans und rockender Band. Sichtlich überrascht meinte Büne Huber: "Ich weiss nicht woran es liegt...aber in Basel ist es immer am Geilsten" und es klang absolut glaubwürdig.
Es folgte der Song "w.nuss vo bümpliz" ...und Takte lang setzte die Band aus, das Publikum sang den Text, als ob es wochenlang zusammen geprobt hätte... Die Stimmung blieb den Rest des Konzertes einzigartig, das Publikum war eine grosse Familie geworden.

Alles gegeben. Alle auf einmal. Patent Ochsner.
Alles gegeben. Alle auf einmal. Patent Ochsner.

(Bild: Benno Hunziker)

Patent Ochsner gaben noch drei Zugaben und kamen dann zu einem letzten A-Cappella Stück auf die Bühne. Als Patent Ochsner diesmal die Bühne verliessen war klar, dass das Konzert zu Ende war. Fast unheimlich ruhig war es auf einmal. Das Publikum machte sich auf den Heimweg. Unterhaltungen waren keine zu hören. Jeder lies wohl das gerade Erlebte Revue passieren. Dieses Konzert der kleinen feinen Berner Band wird noch lange auf mich nachwirken. An diesem Abend schien die Welt ein wenig besser zu sein
The Bishop

Patent Ochsner spielten in der Besetzung:
3 Bläser, Bassistin, Schlagzeug, Stromgitarre, Keyboard, Cello (nur sporadisch)
Büne Huber: Hauptgesang, Akustische Gitarre, Mandoline, Keyboard

www.patentochsner.ch

Spieldauer: 105 min
Zuschauer: 3500



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22./23./24.07.2005, Stimmen-Festival, Lörrach
Calexico, Gentleman, Faithless


Die beinahe sprichwörtliche "urbane Gastfreundlichkeit" Lörrachs sollte sich an diesem Wochenende einmal mehr unter Beweis stellen. Im Rahmen des Stimmen-Festivals, dass über fünf Wochen hinweg viele kleinere Konzerte in Lörrach und Umgebung bietet, und wo eigentlich für jeden etwas dabei sein sollte - es sei denn, man ist eingefleischter und ausschließlicher Volksmusikfan, die kommt beim Festival zum Glück zu kurz - ist der Lörracher Marktplatz für ein langes Wochenende fest in der Hand von Größen der internationalen Pop- und Rockmusik. (Deckt man einmal das gnädige Deckmäntelchen des Schweigens über die "Söhne Mannheims", wobei man denen zugute halten muss, dass sie als einzige ausverkauft waren).
Auf dem Lörracher Marktplatz herrscht durchgehend eine angenehme Atmosphäre, die gastronomische Versorgung ist abwechslungsreich, das Wetter in der "Toskana Deutschlands" macht seinem Namen alle Ehre.

Durfte ich letztes Jahr in diesem Rahmen "Wir sind Helden" kennen und schätzen lernen und musste mich von Melissa Etheridge enttäuschen lassen, standen dieses Jahr Calexico, Gentleman und Faithless auf meinem persönlichen Festivalprogramm.

22.07.'05: Calexico

Der Wettergott meinte es gut mit den Veranstaltern und Besuchern des Festivals. In Freiburg den ganzen Tag relativ kühl und bewölkt wurde es bei der überschreitung der Grenze zum Markgräflerland (nach neusten Erkenntnissen liegt diese im Norden in Heitersheim) plötzlich sonnig und angenehm warm. Passend zu Calexicos "leichter Kost", die einem lauen Sommerabend absolut angemessen ist - gut, es könnte auch noch fünf bis zehn Grad wärmer sein, aber man kann ja auch nicht alles haben. Und endlich mal wieder ein Konzert, bei dem ich das Durchschnittsalter eher senke, denn anhebe.

Aufwendige Instrumentierung in idyllischer Umgebung: Calexico.
Aufwendige Instrumentierung in idyllischer Umgebung: Calexico.

Calexicos Wüstenrock ist in einzigartiger Weise durchsetzt von Mariachi-Trompete, schlurfenden Akkordeon-Walzern, Pedal Steel- und Surf-Gitarren, Piano-Sentenzen, bittersüßen Popmelodien und spleenigen, experimentellen Instrumentalstückchen.
Ich fühle mich an "The Nits" erinnert. Musik die live deutlich angenehmer ist, als das Studioalbum, das ich kenne.

Calexico sind:
Joey Burns, Guitar, Bass, Cello, Keys, Accordian
John Convertino, Drums, Vibes, Accordian, Marimba, Piano
Paul Niehaus, Pedal Steel, Lap Steel, Guitar
Jacob Valenzuela, Trumpet, Vibes, Percussion
Martin Wenk, Trumpet, Acoustic Guitar, Melodica, Keys, Vibes, Percussion
Volker Zander, Bass
Jelle Kuiper, Keyboards and Sampling & Mixing

Zuschauer: 1500
Spieldauer: 98 min
Zu-Spät-Quotient: 5

www.casadecalexico.com
www.stimmen.com

Trotz der 45.000 Einwohner ist Lörrach noch so überschaubar, dass "man sich kennt". Und vor allem kennt natürlich jeder die Stars der Stadt von Kindesbeinen an. Da kann man dann schon mal solche Sätze hören: "Also der Schwager von Ottmar (Hitzfeld) ist ja mit meinem Vater im Angelverein (oder war es der Kegelclub? Egal!). Und ich wusste schon zwei Wochen vor Ottmars offizieller Absage, dass er nicht Bundestrainer werden wird, es ging bei dem Spiel wirklich nur darum, MV bloßzustellen." Gut gemacht, Ottmar, möchte man ihm da spontan zurufen.

23.07.'05: Gentleman & Far East Band: Reggae?

Zunächst einmal zur Vorgruppe, die so schlecht war, dass man sie nicht ignorieren kann. Hip-Hopp aus Zürich, der so schlicht ist, dass man schon beim zweiten Stück eigentlich nicht mehr hinhören mag. Der Name ist Schall und Rauch, und man will ihn auch gar nicht wissen, das Volk geht in einer Massenübersprungshandlung trotzdem ein wenig mit. Aber auch das kann man hinter sich lassen.

Nach einer kurzen Umbaupause trat die Far East Band, die sich darauf spezialisiert hat, als reine Backing-Band für Reggae-Artists zu spielen und die drei eigentlichen Backroundsängerinnen auf die Bühne und bestritten das erste Lied Tilmann Ottogänzlich ohne den heißerwarteten Kölner Reggae-Star. Auch beim zweiten Stück war nichts von Gentleman zu sehen, die Stimme die zu hören war kam vermutlich vom Band, und die Befürchtung machte sich breit, dass Gentleman selbst gar nicht anwesend sei.
Doch das sollte sich als Trugschluss herausstellen, selbstverständlich war er da, und kam zur Mitte des zweiten Stückes dann auch auf die Bühne. Ein furioser Auftakt, dem aber leider nicht mehr sehr viel Höhepunkte folgen sollte. Lediglich bei einer Vokaleinlage bewiesen die drei Damen und Mr. Gentleman dass sie wirklich singen können. Der Rest des Konzertes plätscherte so vor sich hin.

Gentleman und die Far East Band sind:
Tilmann Otto alias "Gentleman", Gesang
Die Eitelkeit von Herrn Otto lässt es wohl nicht zu, dass die Band auf der Heimatseite namentlich erwähnt wird.
Besetzung: 2 Gitarren, Bass, Schlagzeug, Sax, Tasten, 3 Backroundsängerinnen

Zuschauer: 3500
Spieldauer: 92 min
Zu-Spät-Quotient: 4

www.journeytojah.com
www.stimmen.com

Auch Sebastian Deisler ist ein Kind der Stadt. Und natürlich hat auch diesen jeder schon einmal in der F-Jugend gegen den Ball treten sehen. (Wenn man sich das vor Augen führt, müssten da bei 16 Saisonheimspielen dann jeweils knapp 3000 Zuschauer anwesend gewesen sein. Nicht schlecht für die F-Jugend.) Und, oh oh, die familiären Verhältnisse sind ja auch nicht einfach für den Basti. Man hört aber nur hinter vorgehaltener Hand, dass der Vater des mehrfachen Millionärs eher kurz gehalten wird und die Mutter eine Luxuswohnung gekauft hat. Hach, die Welt ist doch ein Dorf.

24.07.'05: Faithless - Tekkno ohne DJ?

Subjektiv betrachtet waren an diesem Abend noch mal mehr Leute auf dem Marktplatz Lörrach. Das Gedränge war spürbar größer, und knapp an der Grenze zum Unangenehmen, als bei Gentleman, auch wenn die Veranstalter von der gleichen Zuschauerzahl sprechen.

Wie bereits vor Calexico muss man als Vorband "Orange Blossom" über sich ergehen lassen. Eine Mischung aus arabischer Folklore und Electronic-Experimental-Rock wurde da zum Besten gegeben, doch wo war der Mann (resp. die Frau) mit dem Keyboard? Ich halte mich einmal mehr an die goldene Chronistenregel, dessen Eingreifen eine Verfälschung der Wirklichkeit wäre und enthalte mich jeglichen Applaus'.

Faithless kamen zunächst zu zweit auf die Bühne - Sister Bliss an den Keyboards und der Bassist legten ein fulminantes Intro auf die Bühne. Und fulminant sollte es auch weitergehen. Eigentlich unglaublich, dass diese Musik zwischen TripHop und Tekkno ohne DJ und in dieser Qualität live möglich ist.

World's famoust DJane: Sister Bliss
World's famoust DJane: Sister Bliss

Wollte man unbedingt das Haar in der Suppe suchen, könnte man anmerken, dass der wohl größte Hit "God Is A DJ" etwas lustlos vorgetragen wurde. Aber ansonsten - kein Haar zu finden. Pünktlich zum Beginn von Faithless fing es auch an zu regnen, doch das war an diesem Abend völlig egal. Der Sänger ging trotzdem auf den nicht überdachten Laufsteg und war danach patschnass. Ein Akt der Solidarität mit dem Publikum, aber wahrscheinlich war es auch und gerade dieses Wetter, was den Abend so speziell machte. Sonnige Musik ist es ja nicht gerade.
Ob die Lichtanlage für diesen Abend noch mal aufgestockt wurde? Wohl kaum. Wahrscheinlich wurde sie einfach nur angemessen eingesetzt und eben alles rausgeholt, was ging. Der Auftritt war schlicht eine Wucht.
jh

Faithless sind:
Sister Bliss: Keyboards
Maxi Jazz: Vocals
(Rollo Armstrong: Production)
Außerdem auf der Bühne:
Eine Frau mit albernem Cowboyhut an den Percussions; Drums, Bass, Git. und die obligatorische Backroundsängerin, die tatsächlich singen kann.

Zuschauer: 3500
Spieldauer: 83 min
Zu-Spät-Quotient: 7

www.faithless.co.uk
www.stimmen.com
Stimmen 2004: "Wir sind Helden"


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Promovierte TaxifahrerInnen
Seeed, 14.07.2005, Zelt-Musik-Festival, Freiburg

Ob schlechte Laune die Muse vom Küssen abhält? Auf "Anweisung" des auf den fernen Kanaren lebenden Bruders habe ich mich brav für Seeed akkreditiert um mir das mal anzusehen. Der Bruder meinte, ich müsse da unbedingt hin. Und bisher hab' ich von dieser Seite noch keine schlechten Tipps bekommen. Nachmittags vor der Uni durfte ich mir dann auch noch anhören, dass ein Kommilitone ein besuchtes Seeed-Konzert schon deshalb geil gefunden hätte, auch wenn ihm die Musik nicht gefallen hätte, wegen der Stimmung, die Seeed verbreitet haben. Die Erwartungshaltung war also groß. Die Schreiblust tendierte gegen Null.
Zunächst einmal alles wie am Vortag: Pünktlich Feierabend gemacht, heimgegangen, geduscht, ins Auto und ab zum Mundenhof, drei Euro Parkgebühren abgedrückt, zur Pressestelle die Karte und den Fotopass abgeholt, und am Hügel vor dem Zirkuszelt erst mal noch 'ne Cola getrunken und 'n Kibbchen geraucht. Pünktlich zur Vorgruppe rein, und wenn wir schon mal da sind machen wir auch Fotos - dachte ich mir, aber weit gefehlt, das Aufpasspersonal war wohl nicht so ganz im Bilde und ich flieg wieder aus dem Fotograben raus. OK, ich weiss weder den Namen der Vorband, noch will ich ihn wissen, die waren einfach schlecht. Insofern konnte ich auch gut auf Fotos verzichten. Die Erwartungshaltung an Seeed wurde dadurch aber auch etwas gedämpft, die Befürchtung kam auf, es ginge jetzt den ganzen Abend so weiter.
Vielleicht bringt es ja was, erst mal was zu essen? Lecker frittierte Champions mit Knoblauchsoße und das Festivalfeeling um die Nase wehen lassen. Es war wohl eine Mischung aus Seeed und dem Spitzenwetter, warum sich so viele Leute auf dem ZMF herumtrieben. Ich traf einen Kollegen und echauffierte mich mit ihm über die horrenden Eintrittspreise, wobei die Preise zwischenzeitlich wohl eher normal sind, also kein ZMF-spezifisches Hochpreisproblem sind. (Seeed kostetet auf dem ZMF 27,- €, die bei weitem besseren US3 & Brand New Heavies 24,-€).

Bläser blasen, Trommler trommeln, DJs djen...
Bläser blasen, Trommler trommeln, DJs djen...

Aber wir wollen ja mal nicht zu negativ an die ganze Sache herangehen und finden uns pünktlich zum avisierten Zeitpunkt am FotografInnentreffpunkt ein, um dann quasi durch die Hintertür in den Fotograben des Zirkuszelts zu gelangen. Dabei gibt's nebenbei einen Einblick in das "Wohnzimmer" des Mitarbeiterbereichs - gemütlich haben sie es sich eingerichtet, nur bei Regen scheint mir das Wohnzimmer nicht wirklich bewohnbar...
Vorbei an unzähligen Mercedes-Benzen kommen wir an der Bühne an, müssen noch ein wenig warten bis Seeed endlich auf die Bühne tritt. Ein fulminanter Auftritt. Die elf Leute von Seeed wissen, wie man sich auf einer Bühne bewegt und der Saal (der eigentlich ein Zelt ist) tobt von Anfang an.

Man fährt Daimler beim ZMF...
Benze warten auf ihren Einsatz.

Wir wurden ziemlich zügig wieder aus dem Fotograben herauskomplimentiert, weil der Manager das Intro (das ungefähr 10 Sekunden dauerte) als erstes Mit alberner Wuschelmütze den Auftritt sensationell eröffnet.Stück zählte. Nun gut, alle Musiker sind mal im Bild festgehalten und das Gekreische des Volkes ist eh nicht so schön anzuhören, da vorne. Also wieder Außenrum zurück und durch den normalen Eingang wieder rein. Da musste ich mir dann erst mal anhören, dass ich keine "blaue Auslasskarte" hätte, und ich eigentlich gar nicht wieder rein darf. Mein Einwurf, als ich rausging war auch niemand da, der mir eine Auslasskarte hätte geben können wird mit der glatten Lüge gekontert, es sei immer jemand dagestanden. Letztlich glaubt man mir, dass ich sie nicht verarschen will, und ich darf in einem Akt grenzenloser Gnade doch noch mal rein. Das Getränkeausschankpersonal ist dafür umso freundlicher und ich vergesse glatt, Auch albern: Turban.ob der Freundlichkeit, mein Pfandmärkchen mitzunehmen. Ja, ja, gutes Personal ist ja heutzutage schwer zu finden, beim Ausschank ist es den ZMF-Veranstaltern aber gelungen.
Das Konzert an sich plätschert so vor sich hin und reißt mich persönlich nicht wirklich vom Hocker. Die 2199 anderen Anwesenden sehen das wohl etwas anders, der Schuppen kocht und dampft. Ob zur Erhaltung dieser guten Stimmung die drei Tänzerinnen notwendig waren, die musikalisch nicht beizutragen haben, aber nett mit dem Arsch wackeln dürfen, ist fraglich. (Wie bekomme ich hier jetzt das Wort "Sexismus" elegant unter? So! Ob das "elegant" ist, bleibt fraglich.)
Das letzte Stück wird "allen Breisgauern und zugezogenen die ihr Ding machen" gewidmet. "Und ihr steigt auch wieder in die erste Bundesliga auf", meint er noch. Dass die SC-Damen erstklassig Fußball in Freiburg spielen wird dabei einmal mehr übersehen.
Zum Abschied wird noch das Freiburg-Klischee bedient: "und studiert schön fleißig, damit ihr später nicht auf der Straße rumhängt." Als TaxifahrerIn muss man in Freiburg übrigens auch promoviert haben.
jh

Seeed sind:
ENUFF aka Pierre Baigorry (vocalcordalist)
EAR aka Demba Nabé (vocalcordalist)
EASED aka Frank A. Dellé (vocalcordalist)
DJ Illvibe (wheels)
Jerome "Tchamp" Bugnon (trombone)
Dubmaster Reibold (vital organism)
Rudeboy Rudy (up & downstrokes)
Tobsen (4 strings underneath)
Alfi Trowers (spooky toys)
Based (beats on skins)
Moritz Delgado (sax)
Olsen Involtini (mixing desk)

www.seeed.info

Spieldauer: 90 Minuten
Zuschauer: 2200
Zu-Spät-Quotient: 4



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diese Augen...

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Fische töten und andere Messerstechereien
26.06.2005: "Element Of Crime" auf dem Greenfield-Festival, Interlaken

Ein langes Hin und Her ging dem Besuch von Element Of Crime auf dem Greenfield-Festival in Interlaken voraus. Eigentlich wäre Heidelberg zwei Tage später das Konzert der Wahl gewesen, aber massiv dummes Tun des örtlichen Veranstalters verhinderte dieses Ansinnen, so dass es eben Interlaken werden sollte.
Von Freiburg aus ein ganz gutes Stück zu fahren, und wenn man schon mal in der Schweiz ist, noch schnell bei der "Dependance Zentralschweiz" vorbei, um dort einen mehr als angenehmen Nachmittag zu verbringen.

Die Hauptbühne beim Greenfield mit alpiner Hintergrundkulisse
Die Hauptbühne beim Greenfield mit alpiner Hintergrundkulisse.

Unterwegs hat man sich viel zu erzählen, zumal die Musikauswahl wegen des defekten CD-Players im Auto sehr begrenzt und die Schnittmenge mit der Fotografin ohnehin sehr klein ist - ich bin wohl einfach derjenige in der Redaktion, der mehr der Pop-Musik angetan ist, als dem reinen Punk. Romantik wäre wohl im Hinblick auf das bevorstehende Konzert das passende Thema gewesen, aber dazu war es wohl zu heiß, also doch lieber: Segeln. Oder Angeln beim Segeln. Es war wohl irgendwann in den 90er Jahren als es hieß, mit dem Katamaran einmal quer durch Schweden zu segeln. Was liegt näher, als sich aus dem Wasser zu ernähren? Der Angelerfolg war auch gegeben, aber niemand an Bord war in der Lage, den Fisch dann auch zu töten. Also dem geangelten Fisch das Leben geschenkt und ihn wieder ins Wasser geworfen, im nächsten Hafen angelegt und im Supermarkt Tiefkühlfisch gekauft.
Oder mit bester Freundin und Muttern derselben in Norwegen: Die Mutter schenkte ihrer Tochter irgend ein tolles teures Messer, beim Angeln sollte das Messer als Totschläger für den gefangenen Fisch zum Einsatz kommen, fiel herunter und beim Auffangen wurden drei Finger spontan amputiert. Manchmal fragt man sich schon ob die Greifreflexe so gut sind beim Menschen... Die Bestellung der fünf Biere für die Leute vom Sägewerk sieht heutzutage aber auch nicht anders aus.
Doch zurück zur Musik. Irgendwie behaupten ja alle Stars meiner Generation, sie wären musikalisch von den Beatles (zumindest mit-)geprägt worden. Ich persönlich bekenne: Meine erste LP war "Dolce Vita" von der Spider Murphy Gang. Danach kam eine lange Phase Queen, ein paar Jahre später sollten mich Element Of Crime zwei Jahre lang Tag für Tag begleiten. Manchmal sehr zum Leidwesen irgendwelcher Besucher, die es irgendwann einfach nicht mehr hören wollten oder konnten.
Die "Dependance Zentralschweiz" bei Luzern war bald erreicht, kurz davor fährt man auf einer Nebenstraße ("bei der Kirche links") über einen Bahnübergang. Eigentlich nicht wirklich erwähnenswert, aber es sind nicht etwa Schranken, die geschlossen werden, wenn ein Zug die Straße queren will, sondern vielmehr eine Flugplatz-Landebahn, deren Schranken geschlossen werden, wenn ein Flugzeug landen will. Wunderwelt der Schweiz...
Wir werden ausgesprochen gastfreundlich von der Korrespondenz Zentralschweiz empfangen, und mit super-legger Kaffee, Wasser, Schokolade und Ovomaltine bewirtet und selbst der sonst so böse Blick des Korrespondenten blieb an dem Tage aus. über das "warum" konnte nur spekuliert werden, letztlich einigte man sich auf die vorläufige Diagnose des Gesichtsmuskelkaters, nach zwei Tagen Greenfield-Festival. (Wobei dieser Bericht an anderer Stelle folgt.) Komische Musik musste ich mir anhören, wurde aber mit der Aussage zufrieden gestellt, dass man vorbereitend auf so ein Festival unbedingt Musik aus der untersten Schublade anhören müsse, weil sonst auf dem Festival keine Steigerung mehr möglich sei.
Sehr Modisch: die güldenen Festival-VIP-Armbändchen. Wir bereiteten uns also ausgiebig vor, schauten halbstündlich auf das Programm, um festzustellen, was wir jetzt noch ausfallen lassen, um dann letztlich rund eine Stunde vor dem Top-Akt auf der Nebenbühne auch wirklich da zu sein. Auffällig war bereits beim Betreten des Geländes, dass nicht sonderlich viele Leute anwesend waren. Das lag sicherlich einerseits daran, dass der letzte Zug an diesem Abend schon sehr früh fuhr, andererseits dass es Freitag und Samstag in Interlaken wohl geregnet hat - zumindest temporär. Beim Geländerundgang begegneten uns Männer mit Schraubeneimern, Wasserwaage und Akkuschrauber. Nicht gerade ein beruhigendes Gefühl, wenn man im Vorfeld von Gerüchten von "dem Wetter nicht standhaltenden zusammenbrechenden Bühnen" gehört hat.
Die Festival-Uhr tickte hörbar und präzise wie das sprichwörtliche Schweizer Uhrwerk (das der Autor auch wirklich in jedem Text, der die Schweiz zum Thema hat, bemühen muss, the säzzer) und Element Of Crime legten pünktlich los.
1990 war es wohl, im Haus der Jugend in Freiburg, als ich die Band erstmals im zarten Alter von - öchö - hören durfte. Damals war gerade "The Ballad Of Jimmy & Johnny" erschienen und EOC hatten damit gerade mal ein deutschsprachiges Lied im Repertoire. Die wohl größte Wende - oder Innovation, wie immer man auch will - vollzogen EOC 1991 mit der Vorlage des komplett deutschsprachigen Albums "Damals hinterm Mond", welches von der Kritik damals als "das beste deutschsprachige Album der letzten zehn Jahre" hochgejubelt wurde. 1993 steigerten sie sich noch ein wenig mit dem Album "Weißes Papier" um sich anschließend zumindest musikalisch weitgehend nur noch selbst zu zitieren. Aber wenn man etwas sehr gut gemacht hat, muss dass ja auch nicht mehr verbessert werden. Sven Regener entpuppte sich spätestens Anfang der 90er Jahre als begnadeter Texter, der mit einer Mischung von Romantik und Surrealismus Texte mit Sprachwitz zu Papier bringt - manchmal herzzerreißend manchmal auch einfach nur absurd - die seinesgleichen suchen. Seine Stimme tut dann noch das übrige dazu.
Musikalisch ist die Band im Punk verwurzelt und verbindet diese Wurzeln so selbstverständlich mit Chansons und Elementen der Zirkusmusik. Das hat ihr noch keiner vorgemacht und wird es wohl auch nicht nachmachen können. So gesehen sind Element Of Crime einfach einzigartig.
Sven Regener

Sven Regener hat sichtlich Wohlstandsspeck angesetzt - wohl in den letzten Jahren zu viele Bücher geschrieben und zu wenige Konzerte gegeben.

Damals, vor vierzehn Jahren, dachte ich, das wohl kleinste EOC-Konzert gesehen zu haben - das Haus der Jugend, wo wohl so um die 500 Leute reinpassen, war nicht ausverkauft. Doch auf dem Greenfield waren es noch weniger. über die Gründe wurde Eingangs schon ausreichend spekuliert. Der früher einmal schmächtige Sven Regener war sich nicht zu schade, beim Soundcheck selbst auf die Bühne zu gehen, und seine Gitarre in Betrieb zu nehmen. Aber er hat sichtlichen Wohlstandsspeck angesetzt, so dass er das vom Publikum völlig unbehelligt tun konnte. Sein Wortschatz, der sich eigentlich zwischen den Liedern auf die Worte "Vielen Dank" und "Romantik" beschränkt, wurde überraschend um einen langen Satz erweitert: "Es gibt zwei Regeln im Rock'N'Roll: Gehe nicht mit Sandalen auf die Bühne, und spiele nie Stücke, die du zuvor nicht auf einer Langspielplatte veröffentlicht hast." Sie taten, zumindest letzteres, trotzdem: Mit "Straßenbahn des Todes" wurde ein Stück von der neuen Platte vorgestellt, deren Erscheinen auf Anfang Oktober terminiert ist. Ein Stück, was sich auch ohne Ansage nahtlos in das Repertoire eingefügt hätte - keine Innovation, sondern Element Of Crime, wie man sie eben kennt und schätzt.

Ein Basser, wie ein Basser eben so ist: stoisch ruhig, leicht wippend. Spötter sprechen von "Seniorenheadbanging".

David Young
Nach einer Stunde wurde die erste obligatorische Zugabenruf-Pause gemacht, nach viel zu kurzen neunzig Minuten war das Konzert schon vorbei. Ob das am strengen Schweizer Zeitplan lag (es war die letzte Band, sie hätten also eigentlich überziehen können) oder dann doch am mangelnden Zuschauerzuspruch, der die Band etwas lustlos gemacht hat? Aber angesichts von sechs Alben, die man zu 80% auch hören wollte, ist ein Element Of Crime-Konzert heutzutage wahrscheinlich immer zu kurz.
Beim Herausgehen lief auf der Hauptbühne noch der Top-Akt des Tages: "System Of A Dawn". Viele Fragen blieben offen: Wer will die sehen? Wer kennt die überhaupt? Lebt der zurückgeworfene Fisch noch? Was geschah mit dem Amputiermesser?
jh

"Element of Crime" sind:
Sven Regener (Gesang, Gitarre, Trompete)
Jakob Ilja (Gitarre)
Richard Pappig (Schlagzeug)
David Young (Bass, Seniorenheadbanging)

Spieldauer: 1:29:38 h (handgestoppt)
Zuschauer: ca. 300
Zu-Spät-Quotient: (6)

Das neue Album von Element Of Crime "Mittelpunkt der Welt" erscheint Ende September/Anfang Oktober 2005. Noch diesen Sommer ganz wenige Konzerte, 2006 soll's endlich wieder eine große Tour geben. Mehr unter: www.element-of-crime.de

Mehr zum 1. Greenfield-Festival: www.greenfieldfestival.ch



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29.04.2005 "Wir sind Helden", X-tra, Zürich
Heldenzeit - Heldenwetter


Ob es an den Helden an sich liegt? Wie letztes Jahr der erste wirkliche Sommertag pünktlich zum Konzert von "Wir sind Helden", heute in Zürich. Leider nicht "open-air", was bei dem Wetter durchaus angebracht wäre.
Die Miteingeladenen haben wohl alle keine Lust auf die Helden, ich mache mich also alleine auf den Weg in die größte Stadt der Schweiz. Die Fahrt ist irgendwie anstrengend, der Routenplaner schickt mich auf seltsame Wege und ich denke erstmals ernsthafter über die Anschaffung eines Navigationssystems nach. 19:00 Uhr sollte das Konzert im X-tra anfangen, ich komme eine halbe Stunde zu spät, doch die Schweizer ticken heute nicht wie ihr sprichwörtliches Uhrwerk. Auf der Gästeliste stehe ich auch nicht, zum Glück ist der Mann an der Kasse unbürokratisch und ich darf trotzdem rein - leider ohne Fotopass.
Das X-tra in Zürich ist ein fetter Discoschuppen und natürlich ausverkauft.
Die Vorband, einmal mehr die Tiger Tunes aus Dänemark, starten dann Punkt 20:00 Uhr und spielen gute 40 Minuten. Man lässt es eben so über sich ergehen, mehr ist zu den Tiger Tunes nicht mehr zu sagen... Nach einer etwas mehr als 20-minütigen Umbaupause treten dann endlich die Helden auf die Bühne.
Mit einer angenehmen Mischung aus "alten" Sachen vom ersten Album und neuen Stücken, liefern sie einmal mehr einen glänzenden Gig ab. Stellenweise posen sie genau so wie andere Bands rum - beispielsweise Melissa Etheridge in Lörrach war in diesem Punkt ganz schlimm - aber man hat immer das Gefühl sie machen das mit der notwendigen Ironie. Zwischendurch wird mal eine "Sozialarbeitergespräch" zwischen Judith und Jean angezettelt - "Du ich find das jetzt echt nicht in Ordnung, dass Du hier immer so dominant die Macht an Dich reißt" (Holofernes, zumindest so ähnlich), Mark merkt zwischendurch mal an, dass er sich und Judith in einem der Bühne gegenüberliegenden Zerrspiegel sieht, was Judith zu wilden Tänzen veranlasst. Die in der Zugabenrufpause vom Publikum angezettelte La-Ola wird von Holofernes als "Kulturaustausch" bezeichnet, weil so was in Deutschland nicht möglich sei.
Die Helden - eine phänomenale Bühnenpräsenz, glücklicherweise immer noch ohne jegliche Allüren, spontan, witzig, charmant und für 30 Stutz (ca. 20 €) auch nicht übertrieben teuer. Man sollte ja Ende April aufpassen, schon solche Superlative wie "bestes Konzert des Jahres" zu vergeben, aber eigentlich können sie sich nur noch selbst beim Southside-Festival Ende Juni toppen. (Und vielleicht klappt's da ja dann auch mit dem Fotopass, Jens ;-))
jh

Wir sind Helden aus Berlin sind:
Judith Holofernes (28, Gesang, Gitarre)
Mark Tavasol (31, Bass)
Pola Roy (29, Schlagzeug)
Jean-Michel Tourette (29, Keyboards, Gitarre)
www.wirsindhelden.de

Spieldauer: ca. 1:55 h
Zuschauer: ca. 1500 (??? - auf jeden Fall proppevoll)
Zu-Spät-Quotient: 7

nächste Konzerte im Südwesten:
03.05. Stuttgart, und
www.southside.de

16.07.2004: Wir sind Helden, Lörrach


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25.04.2005
Silbermond in der Stadthalle Freiburg


Die gute alte Stadthalle Freiburg. Inzwischen in die Urbanität eingebettet, vom alten Messplatz ist nur noch ein kleiner Streifen übrig, der wohl vor Räumen mit solchen Menschenansammlungen mehr als angemessen ist.
Angesichts zweier Vorbands, die jeweils rund 20 Minuten spielen dürfen, ist das späte Erscheinen kein Problem.
Beide Vorgruppen machen soliden, guten Rock, ohne viel Schnick-Schnack und Getue. ["handg'macht" dät mer bi uns sage, the säzzer]. Das Konzert ist nicht ausverkauft, aber rund 3000 Leute haben sich in der Stadthalle Freiburg eingefunden. Eine angenehme Atmosphäre, kein allzu großes Gedränge, wenn man nicht gerade in der ersten Reihe Mitte stehen will. Der Sound weitgehend ok, wenn man am Rand steht macht sich's bemerkbar, dass die Tribüne - wohl mangels Masse - nicht offen ist, und folglich alles ungedämpft zurück kommt. Hallige Halle eben.
Cocker war voller, brechend, was man so hört, aber das ist ja auch kein Wunder; die Teenies bekreischen während der Umbaupausen jeden Roadie, der die Bühne betritt; für mich persönlich ist's die "Fotograbenpremiere", der Fotograf war verhindert, ich musste mich also alleine ins Getümmel stürzen, wobei im Fotograben ja angenehm viel Platz war, sozusagen die nullte Reihe. Soweit zu den Rahmenbedingungen.
Ein furioser Anfang, dunkle Bühne, Bass, Gitarre und Schlagzeug bereits besetzt, nur von der Sängerin Stefanie Kloß keine Spur. - überraschung - sie steht nicht etwa auf der Bühne, sondern auf der Tribüne, über allen und allem und singt "Letze Bahn". Danach lässt sie sich von Roadies den Weg mitten durch's Volk bahnen.
Stefanie KloßLeider schon als zweites "Du und ich" - mein persönliches Lieblingsstück. Subjektiv betrachtet der Höhepunkt zu früh. Doch es sollten Weitere folgen: nach 'ner Dreiviertelstunde kommt die "Rubrik Wunschlied" zum Zuge. Das Publikum - besser gesagt einige aus der ersten Reihe dürfen sich ein Lied wünschen - selbstverständlich nicht von Silbermond - dass dann spontan interpretiert wird. Die Wahl fällt auf ein mir gänzlich unbekanntes HipHop-Stück, die Textschwäche ("wir müssen mit der zweiten Strophe anfangen, die erste kann ich nicht") spricht dafür, dass es tatsächlich improvisiert ist.
"Verschwende Deine Zeit" kommt sehr getragen im Hawaii-Look rüber, dann eine wunderschöne Ballade nur mit Keyboards und Gesang interpretiert und eine Art "unplugged"-Version von "1000 Fragen" - eigentlich schade um's Lied, das hat auf dem Studio-Album deutlich mehr pepp.

Hawaii-Stimmung zu 'Verschwende Deine Zeit'
"Verschwende Deine Zeit", in einer zeitverschwenderischen Version im Hawaii-Look

Und dann machen alle Pause, außer dem Schlagzeuger, der die Rubrik "kulturelle Ecke" damit bestreitet, dass er Freiburg-Spezifische Aussagen bejubeln oder sich - im Falle, dass die Aussage nicht stimmt - ausbuhen lässt. Hier zeigt sich das niedrige Durchschnittsalter - ob Heidegger in Freiburg gelebt hat, weiß hier niemand, wahrscheinlich wissen sie nicht einmal, wer Heidegger war. (www.heidegger.org). Immerhin die Aussage, dass das Freiburger Münster im Barock erbaut wurde, wird mit einem heftigen buhen quittiert. Und um das Klugscheißen auf die Spitze zu treiben: Natürlich hat Freiburg einen grünen OB, aber der erste war es nicht. Gut die Hälfte des Publikums meint das aber wohl. Der erste war aber der Rechtsanwalt Horst Frank in Konstanz ("damals" haben wir das noch als Sieg empfunden...).

Furioses Finale
Furioses Finale

Mit "Durch die Nacht" wird die obligatorische Zugabe-Rufen-Pause eingeläutet, als Zugabe gibt's dann noch vier Stücke, dabei: "Wissen was wird" - was, wie auf dem Album auch, voll nach vorne losgeht und "Symphonie" perfekt interpretiert.

Der Funke sprang nicht so ganz über zwischen Silbermond und Freiburg, was aber auch an der badischen "nit-g'schimpft-isch-gnug-globt"-Haltung, oder auch am trüben Wetter der letzten Tage liegen mag. Dennoch unbedingt zur Wiedervorlage! Ein wenig mehr Lockerheit, die mit zunehmender Konzertroutine sicher kommen wird, wird Silbermond gut tun. Das Potential zum Top-Akt ist da.
jh

Silbermond aus Bautzen sind:
Stefanie Kloß (20, Gesang)
Johannes Stolle (22, Bass)
Thomas Stolle (22, Gitarre)
Andreas Nowak (23, Schlagzeug)
www.silbermond.de

Zuschauer: ca. 2500
Spieldauer: ca. 1:45 h
Zu-Spät-Quotient: 4


 
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